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Blick ins AfD-ProgrammWarum die „Kleine Leute“-Rhetorik nur Fassade ist

Lesezeit 5 Minuten
Viele Arbeiter und Arbeitslose haben bisher die AfD gewählt. Dabei sind diese Gruppen durch die Partei nicht gut vertreten.

Viele Arbeiter und Arbeitslose haben bisher die AfD gewählt. Dabei sind diese Gruppen durch die Partei nicht gut vertreten.

Können sich Arbeiter oder gar Arbeitslose von der AfD gut vertreten fühlen? Ein Blick ins AfD-Programm und Studien zeigen, dass dem ganz und gar nicht so ist.

Alexander Gauland bemühte sich 2016 um folgenden Satz, der sich als rhetorisch wegweisend für die Sozialpolitik der AfD entpuppen sollte: „Überall da, wo wir den Eindruck haben, dass der kleine Mann ungerecht behandelt wird, wollen wir uns dafür einsetzen, dass er gerecht behandelt wird.“ Der damalige Parteichef wollte die seinerzeit noch recht junge AfD von ihrem Image als neoliberale Professoren-Truppe befreien. Die Idee einer Partei für die „kleinen Leute“ war geboren.

Sieben Jahre ist das nun her. Seitdem ist die von Gauland anvisierte Zielgruppe eine zentrale Stütze für die in großen Teilen rechtsextreme Partei geworden. Schon bei der Bundestagswahl im September 2021 stimmten 21 Prozent der Arbeiter und 17 Prozent der Arbeitslosen für die AfD, in den beiden Wählergruppen wurde sie bundesweit jeweils zweitstärkste Kraft hinter der SPD. Und das war noch vor der Energiekrise, der galoppierenden Inflation, dem Streit um das Heizungsgesetz.

Inszenierung als Anwalt der Schwachen

In Zeiten, in denen viele Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, inszeniert sich die Partei verstärkt als Anwalt der wirtschaftlich Schwachen. Jüngst behauptete Co-Chefin Alice Weidel auf dem Parteitag in Magdeburg, die AfD sei die Partei der Arbeitnehmer und Steuerzahler. Dass sie von der aktuellen Verunsicherung in der Gesellschaft profitiert, zeigen die Wahlerfolge und Rekordwerte in den bundesweiten Umfragen. Doch wie sehen die sozialpolitischen Pläne der AfD aus?

Beim Thema Rente will sich die AfD nicht auf ein Eintrittsalter festlegen, sie will jedem Menschen selbst überlassen, wann er oder sie in Rente geht. Die Höhe der Rente soll von den eingezahlten Beiträgen und dem Renteneintritt abhängen. Geringverdiener, die lange in die Rentenkasse eingezahlt haben, will die AfD besser stellen: Nur ein Viertel der Rente soll auf die Grundsicherung angerechnet werden.

AfD will Steuer- und Abgabenlast senken

Durch einen höheren Steuerzuschuss will die AfD ihr Rentenkonzept zukunftsfähig machen. Der dadurch steigende Steueraufwand soll allerdings nicht durch eine Steuererhöhung finanziert werden. Die AfD hat eine andere Idee, um die Mehrkosten auszugleichen: durch „konsequente Streichungen von ideologischen Politikmaßnahmen“. Für die AfD heißt das: kein Geld mehr für Klima-, Migrations- und EU-Politik.

Überhaupt setzt sich die AfD dafür ein, die Steuer- und Abgabenlast zu senken. Schon seit Jahren will die AfD die Erbschaftsteuer streichen. Im Juni brachte sie einen Antrag in den Bundestag ein, in dem sie Abschaffung der „sozialen Neidsteuer“ forderte. Auch den Solidaritätszuschlag lehnt die AfD ab. Inhaltlich liegt sie damit auf einer Linie mit der FDP und Teilen der Union. Beim Umgang mit Arbeitslosen pocht die AfD auf Sanktionen. Im vorigen Herbst stellte die Bundestagsfraktion die Forderung auf, Langzeitarbeitslose zu 15 Stunden Zwangsarbeit pro Woche zu verpflichten – ohne Bezahlung. Damit die Leute nicht lernen, „auf der Couch zu liegen“, wie es der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Norbert Kleinwächter ausdrückte. Politikwissenschaftler halten es nicht für ausgeschlossen, dass die AfD Sozialleistungen nur noch für Deutsche bereitstellen könnte, sollte sie irgendwann im Bund regieren.

Weniger sozialer Wohnungsbau, keine Mietpreisbremse

Die Wohnungspolitik besticht durch Deregulierungen – die AfD spricht sich gegen jegliche „Investitionshemmnisse“ wie Mietpreisbremsen oder Mietendeckel aus. Auch den sozialen Wohnungsbau will sie eindämmen. Überhaupt träumt sie davon, Deutschland zu einem Land von Wohnungseigentümern zu machen. Gleichwohl die AfD nicht müde wird, sich als Partei der Unterprivilegierten auszugeben, halten Fachleute dieses Auftreten für fadenscheinig. Als „Achillesferse“ bezeichnet Christoph Butterwegge die Sozialpolitik der Rechtsaußenpartei. Eine Forschungsgruppe vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) hat die finanziellen Auswirkungen der Parteiprogramme untersucht.

Die Berechnungen zeigen: Ehepaare mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 40000 Euro pro Jahr profitieren gar nicht von den Steuerplänen der AfD. Bei einem Einkommen von 300000 Euro verspricht die AfD hingegen Entlastungen in fünfstelliger Höhe, genauso wie FDP und CDU. Bei SPD, Grünen und Linken ist es andersrum.

Auch laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) von 2021 können sich Arbeiter und Arbeitslose nicht gut von der AfD vertreten fühlen. In der 68-seitigen Analyse kommen Forscher zu dem Schluss, dass die „Kleine Leute“-Rhetorik nur eine „oberflächliche Fassade“ sei. Im Kern gebe es eine überraschend neoliberale Denkweise. Die AfD führe soziale Abstiege nicht auf sozioökonomische Verteilungsschieflagen zurück, sondern erzähle „Modernisierungsverlierern“, dass „Establishment“ und „Ausländer“ Schuld seien.

In der Renten- und Arbeitsmarktpolitik weiche die AfD „hin und wieder“ von der „strikt neoliberalen Ausrichtung“ ab. Doch Forderungen nach guter Arbeit und höheren Löhnen würden durch Bedingungen eingeschränkt, wonach bestimmte Sozialleistungen nur für „Einheimische“ gelten sollen.


Jeder Dritte stimmt Merz bei Umgang mit AfD in Kommunen zu

Den umstrittenen Aussagen von CDU-Parteichef Friedrich Merz (Foto) zum Umgang mit der rechten AfD in den Kommunen stimmt hierzulande jeder Dritte zu. Genau beträgt der Anteil 32 Prozent, wie eine Yougov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt. Fast ebenso viele (33 Prozent) antworteten, dass sie die Äußerung „teils teils“ richtig finden. Gefragt wurden sie nach Merz' Aussage, die vielfach als Aufweichung der Abgrenzung der CDU zu den Rechtspopulisten interpretiert wurde. Mit Blick auf Wahlerfolge der AfD hatte Merz im ZDF-Sommerinterview gesagt: „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Knapp ein Viertel nannte die Aussage falsch. Die AfD wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Nach heftiger Kritik hatte Merz versichert, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei gelte. Im Juni und Juli hatte die AfD im thüringischen Landkreis Sonneberg ihre erste Landratswahl gewonnen. Zurzeit steht sie in bundesweiten Umfragen bei 20 bis 21 Prozent. (dpa)