Vermeintlich ist Rechtspopulismus eine Sache der Abgehängten. Aber woher kam dann die rassistische Grölerei im Sylter Edelclub „Pony"? Ingo Lehnick fragte den Bielefelder Konflikt- und Extremismusforscher Andreas Zick
Bielefelder Forscher zum Sylt-EklatRechtsextremismus ist kein Arme-Leute-Phänomen
Die ausländerfeindlichen Gesänge in einem exklusiven Party-Club auf Sylt haben entsetzte Reaktionen ausgelöst. Von „Prosecco-Nazis“ ist die Rede. Sehen wir hier die bürgerliche Seite des Rechtsextremismus?
Genau das sehen wir: Menschen aus den vermutlich ökonomisch abgesicherten, wenn nicht gehobenen Einkommensgruppen, die sich neben einem guten Leben auch rechtsextreme und rassistische Unterhaltung erlauben. Wir sehen aber vielleicht auch Kleinbürger im Gewand der sogenannten Oberschicht. Es sind die Mittel- und Oberschichten, die nach Studienlage den Rechtspopulismus tragen, es sind ökonomisch nicht bedrohte Menschen, die für die Propaganda, die Verbreitung von Verschwörungsmythen sorgen und den Rechtsextremismus organisieren wie stärken. Nach der Potsdamer Enthüllung durch das Rechercheteam von Correctiv im Januar, nach dem Bekanntwerden der Terrorpläne von Reichsbürgern, die derzeit in München verhandelt werden, müsste klar geworden sein, dass Rechtsextremismus und Rechtspopulismus kein Arme-Leute-Extremismus ist. Es sind sieben Prozent unter jenen, die meinen, einer Oberschicht anzugehören, und je neun Prozent, die sich der Unter- oder Mittelschicht zuordnen, die klar rechtsextrem orientiert sind nach Daten der Mitte-Studie aus dem Frühjahr 2023.
Welche rechtspopulistischen Einstellungen gibt es beispielsweise?
Fünf Prozent unter jenen, die sich als Oberschicht verstehen, verharmlosen den Nationalsozialismus, vier Prozent sind es in der Mittel- und drei Prozent in der unteren Schicht. Auffällig ist auch, dass sechs Prozent unter jenen, die meinen, zur Oberschicht zu gehören, rassistische sozialdarwinistische Einstellungen teilen, also zum Beispiel meinen: „Wie in der Natur wird sich in der Gesellschaft der Stärkere durchsetzen“ oder „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“. Unter denen, die meinen, zur Mittelschicht zu gehören, sind es ebenfalls sechs Prozent und unter denen, die sich in der unteren Schicht sehen, sind es nur vier Prozent. Ich könnte weitere Befunde anfügen, die zeigen, wie verbreitet rechtspopulistische, rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen sind. Dabei zeigt sich immer wieder, dass sogenannte neoliberale soziale Orientierungen, die Vermögende prägen, und die Behauptung, ihnen stünde mehr zu, die Demokratiedistanz der Abgesicherten prägt. Und nicht zuletzt sitzen in den radikalen Parteien viele Vermögende in den Spitzenpositionen. Rassismus und Menschenverachtung scheinen zunehmend in allen sozialen Schichten salonfähig und verharmlost zu werden.
Wie groß ist das Problem?
Die sozialen Medien haben tatsächlich einen neuen erlebnis- und unterhaltungsorientierten Rassismus und Rechtsextremismus salonfähig gemacht. Der Rassismus und der eigene Extremismus wird gerade unter rechtsradikal orientierten Anhängern in Social Media inszeniert, er wird karikiert, verharmlost und gerechtfertigt. Es hat der Sylter rassistisch und nationalistisch gestimmten Partygesellschaft so viel Spaß gemacht, dass die Selbstinszenierung geteilt wurde, um Aufmerksamkeit und „Likes“ zu bekommen. Das gehört dazu, aber die Spaßkomponente funktioniert nur, wenn auch ein ideologisches Motiv dazukommt und wenn die Gruppen Überlegenheit und Legitimität empfinden. Es ist eine Gemeinschaft der Radikalen. Dass dies noch viel mehr verbreitet ist, davon ist auszugehen. Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs solch radikaler Gemeinschaft der Bessergestellten. Auf Sylt gab es offenbar keinen Widerspruch zum Geschehen, sondern nur Mitmachen oder schweigendes Zuschauen.
Wie kann man in einer solchen Situation richtig reagieren und was ist gesellschaftlich nötig?
Der Club hat richtig reagiert, weil er zuerst ein lebenslanges Betretungsverbot ausgesprochen hat und weil er klargemacht hat, dass er dazwischengegangen wäre, wenn ihnen was aufgefallen wäre. Er hat also klare Kante gezeigt und die Bedeutung von Zivilcourage betont, die ausgeblieben ist. Gesellschaftlich nötig ist meines Erachtens, die Normen und den Anspruch an eine weniger rassistische und rechtsextreme Gesellschaft hochzufahren, auch wenn das anstrengend ist und keinen Spaß macht. Antirassismus ist keine Ideologie, sondern eine Verpflichtung, die aus dem Grundgesetz hervorgeht. Nur weil es ein Grundgesetz gibt, in dem Artikel 1 die Würde eines jeden Menschen garantiert, ist das noch keine Garantie, dass es auch Realität ist. (epd)