In Australien ist das historisches „Voice“-Referendum gescheitert. Nun gab es Kritik an Desinformationen und Sorge um die Aussöhnung mit der ursprünglichen Bevölkerung.
AustralienKeine Stimme für die Ureinwohner
Australiens historisches Referendum ist gescheitert. Eine große Mehrheit der 17 Millionen Wahlberechtigten lehnte den Vorschlag, eine sogenannte indigene „Stimme“ („Voice“) einzurichten, ab. Das Gremium hätte das Parlament bei Themen beraten sollen, die die Ureinwohner betreffen. Es wäre zudem in der Verfassung verankert worden und hätte den Indigenen damit erstmals Anerkennung gegeben.
Premierminister Anthony Albanese hatte „The Voice“ sein „Herzensprojekt“ genannt. Am Samstag musste er es endgültig zu Grabe tragen – obwohl er versprach, dass dies „sicher nicht das Ende unserer Bemühungen ist, Menschen zusammenzubringen“. Marcia Langton, eine indigene Aktivistin, fand dagegen stärkere Worte: Sie nannte das Nein-Votum „einen traurigen Moment in der Geschichte des Landes“. Eine Aussöhnung erklärte sie für „tot“.
Niederlage für Premier
Grundsätzlich ist es nicht einfach, ein Referendum in Australien über die Ziellinie zu bringen. Um die Verfassung zu ändern, hätten mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten sowie eine Mehrheit in vier der sechs Bundesstaaten mit Ja abstimmen müssen. Australienweit stimmten jedoch über 60 Prozent für Nein. Die „Stimme“ erreichte in keinem einzigen Bundesstaat eine Mehrheit.
Für Albanese ist die Niederlage sehr persönlich. Er hatte fest daran geglaubt, mit dem Referendum einen „einigenden australischen Moment“ zu schaffen und die Lebensbedingungen der nach wie vor benachteiligten indigenen Bevölkerung zu verbessern. Die Idee war 2017 aufgekommen. Damals trafen sich die Führer der verschiedenen Aboriginal-Völker sowie der Torres-Strait-Insulaner am berühmten Felsen Uluru im Zentrum Australiens. Sie schlugen die „Stimme“ im sogenannten „Statement from the Heart“ vor. Nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten im vergangenen Jahr versprach Albanese, die Idee umzusetzen.
Über die vergangenen Monate hinweg entwickelte sich „The Voice“ jedoch zu einem unerwarteten Zankapfel in der Bevölkerung. Ein Grund war, dass sich die konservative Opposition auf die Seite der „Nein“-Kampagne schlug – offiziell, da die „Stimme“ ihrer Meinung nach die Nation „nach Rassen aufspalten“ würde. Megan Davis, eine der indigenen Architektinnen des Projekts, glaubt dagegen, dass der Beweggrund war, „Zwietracht in der australischen Regierung zu stiften“. Sie mahnte die Menge an Fehl- und Desinformation an, die bei den „Nein“-Befürwortern zum Einsatz gekommen sei.
Social-Media-Kampagnen und Lügen
Tatsächlich arbeiteten Social-Media-Kampagnen, aber auch einige Medien mit Übertreibungen, verzerrten Wahrheiten und teils sogar mit Lügen. Falsche Behauptungen, dass Aboriginal People nach dem Referendum kostenlose Wohnungsbaudarlehen, Autos oder Universitätsabschlüsse erhalten würden, wurden verbreitet – ebenso wie die Lüge, dass Menschen ihr Zuhause oder ihr Grundstück verlieren würden oder Australien Entschädigungen zahlen müsste. Einige indigene Gegner der „Stimme“ argumentierten dagegen, dass diese ein machtloses Beratungsgremium und reine „Schaufensterdekoration“ wäre.
Die indigenen Völker in Australien galten bis 1967 nicht einmal als Staatsbürger in ihrem eigenen Land. Kinder wurden bis in die 1970er Jahre aus ihren Familien gerissen und in Pflegeheime gebracht. Die Traumata dieser „Gestohlenen Generation“ wiegen bis heute schwer. Stewart Sutherland, ein Experte für indigene Gesundheit an der Australian National University in Canberra, der selbst der indigenen Wiradjuri-Nation angehört, hatte gehofft, die Australier mit Hilfe von „The Voice“ auch über ihre eigene Geschichte zu informieren. „Australien braucht die Wahrheit bezüglich dieser Themen“, sagte er.
Nach wie vor benachteiligt
Ebenso wichtig wäre aber eine Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung gewesen. Ein Beispiel ist die Lebenserwartung, die gemäß der aktuellsten Daten (für den Zeitraum 2015 bis 2017) zwischen 7,8 und 8,6 Jahren unter der der nicht-indigenen Bevölkerung lag. In abgelegenen Gebieten des Landes war die Diskrepanz noch ausgeprägter. Auch die Selbstmordraten sind unter Indigenen deutlich höher. Verbesserungen wären zudem in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen nötig. Der indigene Experte Sutherland fürchtet nach der Niederlage nun einen Stillstand im Land. In seinen Augen verstehen viele Australier die Tragweite nicht, die ein „Nein“ mit sich bringt. Und er glaube nicht, „dass es in meiner Lebenszeit noch etwas Vergleichbares geben wird“.