Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Doppelschlag über dem Asowschen MeerUkraine nimmt zwei russische Spezialflugzeuge ins Visier

Lesezeit 3 Minuten
Da waren es nur noch acht - oder sieben? Ein russisches Aufklärungsflugzeug A-50, hier 2019 bei einem Paradeflug über dem Roten Platz in Moskau.

Da waren es nur noch acht - oder sieben? Ein russisches Aufklärungsflugzeug A-50, hier 2019 bei einem Paradeflug über dem Roten Platz in Moskau.

Die Ukraine hat ein russisches Aufklärungsflugzeug abgeschossen und eine fliegende Kommandozentrale schwer beschädigt. Warum trifft das die Aggressoren so hart?

Einen halben Tag ließ der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj die Öffentlichkeit warten, dann kam die Bestätigung: Ja, die Ukraine habe zwei russische Flugzeuge über dem Asowschen Meer „vernichtet“ – einen Frühwarn-Aufklärer A-50 und eine fliegende Kommandozentrale vom Typ Iljuschin Il-22M. Seit dem Sonntagabend hatten russische Kanäle, darunter gut informierte wie „Fighterbomber“, darüber debattiert. Die A-50 wurde zweifellos abgeschossen. Nach ukranischen und russischen Medienberichten soll die Il-22M allerdings schwer beschädigt und mit Verletzten an Bord einen russischen Flughafen erreicht haben.

Welche Bedeutung hatten die russischen Flugzeuge?

Russland hat in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine nachweislich bisher 99 Flugzeuge eingebüßt, so die Auswertung des Portals Oryx. Aber die beiden jetzt betroffenen Maschinen sind schwerer zu ersetzen als beispielsweise die 23 zerstörten Su-34-Kampfbomber. Die düsengetriebene Berijew A-50 mit ihrer Radarantenne sieht nicht nur ähnlich aus wie ein Awacs-Flugzeug der Nato, sie hat auch die gleiche Funktion: Sie erfasst fliegende Objekte im Umkreis von mehr als 200 Kilometer von der eigenen Position (und Schiffe in noch weiterem Umfeld). Auch die Turbopropmaschine Il-22M – nicht zu verwechseln mit einem alten Sowjet-Bomber Namens Il-22 – ist mit Antennen und Elektronik vollgepackt.

Der ukrainische Luftwaffensprecher Jurij Ignat geht nur von neun einsatzfähigen A-50 aus, die Russland zum Zeitpunkt seines Überfalls auf die Ukraine besessen habe. Eine davon wurde im Februar 2023 von Partisanen in Belarus beschädigt, ihr Zustand ist unklar. Von den Iljuschin-Kommandozentralen hatte Russland nach früheren Angaben des britischen Militärgeheimdienstes maximal ein Dutzend. Eine von ihnen hatten bereits Wagner-Söldner bei ihrem Aufstand im Juni 2023 abgeschossen.

Was ist über dem Asowschen Meer passiert?

Über Einzelheiten des Angriffs teilt die Ukraine nichts mit. Es ist unklar, welche Waffe eingesetzt worden sein soll. Für Patriot-Raketen wäre die mutmaßliche Schussdistanz von 200 Kilometern zu weit. Militärblogger hatten in der Vergangenheit spekuliert, die Ukraine könne sowjetische Luftabwehrraketen vom Typ S-200 modernisiert haben. Russische Blogger hatten anfangs sogar über „friendly fire“, also einen versehentlichen Angriff der eigenen Leute, spekuliert. „Fighterbomber“ veröffentlichte ein Foto eines offenbar in Folge einer Explosion durchsiebten Flugzeug-Leitwerks, angeblich das der Il-22 im südrussischen Anapa. Die A-50 ist dagegen wohl in Meer gestürzt – und neben dem Verlust der angeblich 300 Millionen Euro teuren Maschine selbst trifft auch der mutmaßliche Tod der kompletten Besatzung das russische Militär hart. Denn wie der russische Blogger Rybar einräumt: Hier handelt es sich um jahrelang ausgebildete Spezialisten.

Was bedeutet das für den Kriegsverlauf?

Mit dem Angriff auf die Flugzeuge setzt die Ukraine eine Strategie fort, die seit dem letzten Herbst zu beobachten ist: die Schwächung der russischen Luftaufklärung und Luftabwehr. Einerseits will die Ukraine so russische Luftangriffe erschweren. Zum Beispiel werden vom Unterlauf des Dnipro kaum mehr Einsätze russischer Kampfjets gemeldet. Zum anderen will sie die Voraussetzung für eigene Angriffe schaffen – mit dem Fernziel, die Krim-Zugänge für Russland unbrauchbar zu machen.

Im Frontverlauf am Boden gab es 2023 nur geringe Veränderungen. Trotzdem können die Folgen der Kämpfe dramatisch sein. Beispiel Awdijiwka: Seit Monaten versucht Russland das Städtchen bei Donezk einzunehmen. Die russischen Geländegewinne sind marginal, die Verluste enorm. Nach Daten aus Oryx hat Russland bei seiner Awdijiwka-Offensive bis zum 12. Januar 2024 insgesamt 488 schwere Waffensysteme und Fahrzeuge verloren (davon allein 47 in der Woche vom 5. bis zum 12. Januar), die Ukraine 37, davon fünf in der letzten Woche. Die von manchen Beobachtern als sinnloser Stellungskampf wie im Ersten Weltkrieg kritisierte ukrainische Verteidigung trägt also maßgeblich zum Abnützen der russischen Militärmacht bei – nicht anders als die Luftangriffe.