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75 Jahre AuschwitzGeschichte einer Mordfabrik in Namen und Daten, Zahlen und Fakten

Lesezeit 6 Minuten
Auschwitz

Die Sonne geht hinter dem Tor zum früheren Konzentrationslager Auschwitz I mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei" auf.

  1. Eine menschengemachte Hölle
  2. KZ und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
  3. Die Geschichte einer Mordfabrik in Namen und Daten, Zahlen und Fakten

Wie alles begann

Der Name Auschwitz steht als das Synonym schlechthin für den Holocaust, den deutschen Massenmord an den europäischen Juden mit rund sechs Millionen Toten. Die Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers in der Kleinstadt 50 Kilometer westlich von Krakau ist allerdings ohne den Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 nicht denkbar. Erst die militärische Eroberung und Besatzung erlaubte es der SS-Führung unter Heinrich Himmler, weitab von deutschen Kerngebieten nach Standorten für die Errichtung von ausgedehnten Lagerkomplexen Ausschau zu halten. Fündig wurde man unter anderem in Auschwitz, wo bei Kriegsbeginn rund 12.000 Menschen lebten, davon 7000 polnische Juden.

Der Ort

Oswiecim, der polnische Name der Stadt, leitet sich vom westslawischen „swety“ ab, das kraftvoll/stark, aber auch heilig bedeutet und auf die mittelalterlichen Stadtgründer verweist. Kraft war bei der Erschließung nötig, weil sich der Ort in einer sumpfigen Fluss- und Auenlandschaft befand. Und genau das, so rechnete die SS, würde Fluchtversuche erschweren. Außerdem gab es im besetzten Auschwitz eine leer stehende Kaserne der polnischen Armee und eine für die Zwecke der SS ideale Bahnanbindung: Die Stadt lag an der Strecke Wien-Krakau, was die „Anlieferung“ von Häftlingen aus weiten Teilen Europas erleichterte.

Das Stammlager

Im Frühjahr 1940 erteilte Himmler den Befehl zur Errichtung eines KZs in Auschwitz und setzte Obersturmbannführer Rudolf Höß als Kommandanten ein. SS-Einheiten und Zwangsarbeiter bauten die vorhandene Kaserne um und erweiterten sie zum später so genannten Stammlager Auschwitz I. Bis Mitte 1942 diente das KZ vor allem der Internierung polnischer NS-Gegner und sowjetischer Kriegsgefangener. Als wichtigste Symbole erinnern an diese frühe Zeit bis heute der zynische Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Eingangstor und die Schwarze Wand, ein Kugelfang aus dunklen Isolierplatten, vor dem SS-Henker willkürliche Todesurteile vollstreckten. Durch Erschießungen, Hunger, Krankheiten und die extreme Arbeitsbelastung starben in Auschwitz I etwa 70.000 Menschen. Ab August 1941 gab es zudem erste Versuche mit Gas-Morden in geschlossenen Kammern.

Auschwitz5

"Halt" und "Stoj" steht auf einem Schild am Stacheldrahtzaun des früheren Konzentrationslagers Auschwitz I.

Ausbau zum Vernichtungslager

Im KZ Auschwitz I waren zu Hochzeiten 18.000 Menschen interniert. Hitler und die SS-Führung wollten aber mehr und etwas ganz anderes. Im Frühjahr 1941 erteilte Himmler den Befehl zur Errichtung eines zweiten Lagers in dem Örtchen Birkenau (Brzezinka), wenige Kilometer vom Stammlager entfernt. Auschwitz-Birkenau oder Auschwitz II war von Anfang an als Vernichtungslager geplant. Mit einer Kapazität von bis zu 200.000 Menschen diente es als zentralem Zweck der Tötung von Menschen, die als „rassisch minderwertig“ eingestuft wurden, insbesondere von Juden, aber auch von Sinti und Roma, Kranken und Behinderten.

Industrialisierter Massenmord

Die SS-Lagereinheiten organisierten eine möglichst sofortige Tötung ihrer Opfer, die meist in heillos überfüllen Vieh- oder Güterzügen antransportiert wurden. Nach der Entladung an der sogenannten Judenrampe und der Selektion von wenigen „Arbeitsverwendungsfähigen“ trieben die Aufseher die übrigen Menschen in die Gebäude mit den insgesamt sieben Gaskammern, in die sie das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B einleiteten. Dessen Hauptbestandteil Blausäure verursacht ein qualvolles Ersticken. Nach der Entlüftung des leicht flüchtigen Gases ließ die SS die Leichen in fünf Krematorien und drei Spezialgruben verbrennen. Historiker haben die Mordfabrik in Auschwitz I und II mit ihrer millionenfachen Tötungskapazität in den vergangenen Jahrzehnten intensiv erforscht und dabei auch Ingenieure einbezogen. Die wahrscheinlichsten Schätzungen der Opferzahlen gehen von mindestens 1,1 Millionen ermordeten Menschen in dem Vernichtungslager aus, darunter mehr als 900.000 Juden aus allen Teilen Europas.

Die Täter

Hitler und Himmler, die NS- und die SS-Führung, Lagerkommandant Höß (bis Ende 1943) und seine Nachfolger, die Männer der sogenannten Totenkopf-SS vor Ort, Chemiker und Mediziner wie der berüchtigte Lagerarzt Josef Mengele, der mit „lebensunwertem Menschenmaterial“ experimentierte: Selbst die Liste der namentlich bekannten Täter ist viel zu lang, um sie alle zu nennen. Die I.G. Farben, das zeitweise größte Chemie- und Pharmaunternehmen der Welt, zu dem sich 1925 unter anderem Hoechst, Bayer, BASF und Agfa zusammengeschlossen hatten, war mit ihrem Vorstand Otto Ambros an der Planung und Finanzierung ebenso beteiligt wie die Deutsche Bank. Zur historischen Wahrheit gehört im Übrigen auch der Satz: Die Täter waren fast ohne Ausnahme männlich.

Was kann das Recht?

Zur Verantwortung gezogen wurden in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und den späteren Auschwitz-Prozessen (ab 1963) nur wenige Täter. Hitler und Himmler entzogen sich durch Selbsttötung. Höß sagte in Nürnberg aus, wo er die technischen Abläufe des Massenmordes in Auschwitz schilderte. Nach seiner Auslieferung an Polen wurde er 1947 hingerichtet. Adolf Eichmann, der in der SS-Führung den Genozid an den europäischen Juden organisierte, wurde 1960 von Mossad-Agenten in Argentinien aufgespürt, in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet. In der Bundesrepublik galt lange der Grundsatz, dass nur unmittelbar Tatbeteiligte wegen Mordes verurteilt werden konnten. Das Rechtsverständnis änderte sich erst im neuen Jahrtausend, vor allem infolge des Prozesses gegen John Demjanjuk. Das Landgericht München II verurteilte den ukrainischen KZ-Aufseher 2011 wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen im Vernichtungslager Sobibór zu fünf Jahren Haft. Die deutsche Justiz leitete daraufhin auch neue Auschwitz-Verfahren ein. So verurteilte das Landgericht Lüneburg 2015 den SS-Lagerverwalter Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft. Zu wenig, zu spät? Gröning starb vor Haftantritt.

Todesmärsche und Befreiung

Für die allermeisten Opfer zu spät kamen die sowjetischen Soldaten, die den Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 befreiten. Rund 7000 kranke und unterernährte Menschen trafen die Befreier noch an, als sie den weitläufigen Komplex mit seinen zuletzt rund 50 Außenlagern erreichten. Die Männer der Totenkopf-SS hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die meisten der verbliebenen 70.000 Häftlinge erschossen oder nach Westen getrieben, mitten im Winter, zu Fuß, halb verhungert und kaum bekleidet. Die genaue Zahl der Opfer auf diesen „Todesmärschen“ ist nicht bekannt.

Schwieriges Gedenken

2005 erklärte die UNO den 27. Januar zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts. Nicht ganz leicht tut man sich mit dem Erinnern in Polen, wo sich die wichtigsten Überreste der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager befinden. Erzürnt sind viele Menschen dort, wenn internationale Medien und Politiker die falsche und fatal irreführende Bezeichnung „polnische Konzentrationslager“ verwenden. Aber auch das Gedenken an die Befreiung ist in Polen umstritten, das nach dem Krieg unter sowjetische Herrschaft geriet. Der russische Präsident Wladimir Putin, der unlängst den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 in mehreren öffentlichen Stellungnahmen rechtfertigte, ist am 75. Jahrestag der Befreiung in Oswiecim unerwünscht.

Welterbe und mehr

Der polnische Staat hat über Jahrzehnte hinweg mit internationaler Unterstützung den Erhalt wichtiger Teile der ehemaligen Lager in Auschwitz und Birkenau gesichert. Seit zehn Jahren existiert zu diesem Zweck die Stiftung Auschwitz-Birkenau mit Sitz in Warschau. Wichtigster Geldgeber ist die Bundesrepublik Deutschland. „Dieser Ort, der wie kein anderer für das größte Menschheitsverbrechen steht, verpflichtet uns, die Erinnerung wachzuhalten“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel unlängst bei einer Rede in der KZ-Gedenkstätte. 2019 besuchten 2,3 Millionen Menschen den weitläufigen Museumskomplex, der seit 1979 auf der Welterbeliste der Unesco steht. Informationen für Interessierte: http://auschwitz.org/en/visiting/