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500 warten auf AusreiseHolocaust-Überlebende in der Ukraine brauchen Hilfe

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Gedenkstunde für den Buchenwald-Überlebenden Boris Romantschenko. Der 96-jährige wurde bei einem Bombenangriff in Charkiw getötet.

Berlin/Charkiw – Die historische Verantwortung Deutschlands, Verfolgten der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik beizustehen, wird durch den Ukraine-Krieg aktuell auf eine harte Probe gestellt. Für Boris Romantschenko etwa kommt jede Hilfe zu spät: Der 96-jährige Jude, der mehrere Konzentrationslager überlebt hatte, starb am 18. März bei einem russischen Luftangriff auf Charkiw.

Die hochbetagten Menschen, die sich zum zweiten Mal in ihrem Leben mit einem Krieg konfrontiert sehen, sind nicht nur durch die Kampfhandlungen gefährdet, sondern leiden auch besonders stark unter der sich verschlechternden medizinischen Versorgung. Unter schwierigen Bedingungen laufen deshalb verschiedene Hilfsaktionen aus dem ehemaligen „Land der Täter“ an.

Deutschland nimmt pflegebedürftige Holocaust-Überlebende auf

Deutschland habe bislang 47 pflegebedürftige jüdische Holocaust-Überlebende aus der Ukraine aufgenommen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag. Dazu kommen „ca. 27 Begleitpersonen“, wie das Ministerium unserer Redaktion mitteilte.

Jüdische Hilfsorganisationen wie die Jewish Claims Conference (JCC) und das Joint Distribution Comittee (JDC) organisieren mit Unterstützung der Bundesregierung die Evakuierung, die bei Bettlägerigen als Liegendtransport erfolgen muss.

JCC und JDC haben etwa 400 bis 500 Pflegebedürftige auf ihren Listen zur Ausreise nach Deutschland vorgesehen und rechnen insgesamt mit 100.00 Überlebenden der Shoah, die sich aktuell in der Ukraine aufhalten. Dazu kommen nicht-jüdische NS-Opfer wie ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland hat nach eigenen Angaben bislang 13 Busse mit etwa 400 Ukraine-Flüchtlingen aus Moldawien nach Frankfurt gelotst.

Netzwerk aus 30 Institutionen hilft NS-Überlebenden in der Ukraine

Rund dreißig Institutionen aus der ganzen Bundesrepublik haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um Hilfe für Menschen vor Ort zu organisieren. Individuelle Hilfen gehen vor allem an Menschen, die den beteiligten Organisationen aus ihrer jahrelangen Arbeit persönlich bekannt sind.

Seit der Gründung am 9. März 2022 wurden auf diesem Wege 130 Menschen und ihren Angehörigen mit etwa 31.000 Euro direkt geholfen. Ragna Vogel vom Berliner Verein Kontakte-Kontakty, der das Netzwerk initiiert hat, verdeutlicht die Dringlichkeit der Aktion: „Die Notlage ist sehr, sehr akut. Einige wurden ausgebombt, stehen vor dem Nichts, müssen ihre Familien versorgen.“

Neben finanziellen Zuwendungen erhielten die NS-Opfer zudem Medikamente, Hygieneartikel und Nahrungsmittel, die im Krisengebiet knapp werden. Die Claims Conference habe auch ihnen Transporte angeboten, sagt Vogel: „Aber die meisten wollen bleiben.“

In einem nächsten Schritt sollen Hilfsbedürftige gefunden werden, die wenig organisiert sind und eher nicht über Verbände und andere Strukturen erreicht werden - Sinti und Roma etwa. Das Netzwerk arbeitet dafür mit lokalen Helfern zusammen, die in Dörfer fahren und Betroffene aktiv suchen sollen. (rast)