Köln – Auf Twitter „warb" Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich für das Medikament Paxlovid. Dank des Tweets dürfte die Corona-Pille nun in aller Munde sein. Im übertragenen Sinne, denn im wortwörtlichen ist davon noch keine Rede. Laut Thomas Preis, dem Vorsitzenden des Apothekerverbands Rheinland, seien von den bereitgestellten eine Million Packungen bis jetzt nur geschätzte 30.000 verschrieben worden. Lauterbachs Nachricht: „Bin leider trotz großer Vorsicht an Corona erkrankt (…) Die Symptome sind noch leicht. Zur Vermeidung von Komplikationen nehme ich Paxlovid“, macht das Mittel bekannt, sorgt aber auch für Irritationen. Schließlich ist der SPD-Politiker U60, vier Mal geimpft und nicht vorerkrankt. Sollen nun alle Corona-Erkrankten prophylaktisch Paxlovid einnehmen? Warum wird es – wie viele Twitter-Nutzer und -Nutzerinnen unter Lauerbachs Post anmerkten – so selten verschrieben? So dass jetzt die Vernichtung von Hunderttausenden Packungen droht?
Was genau ist Paxlovid?
Paxlovid soll im Fall einer Corona-Erkrankung, vorausgesetzt es wird innerhalb der ersten fünf Tage eingenommen, die Vermehrung des Virus in den menschlichen Zellen stoppen. „Paxlovid ist ein Polymerase-Hemmstoff. Es blockiert das Enzym des Erregers und hemmt damit die Vermehrung des Virus'“, erklärt Preis.
Am 27. Januar 2022 hatte die EU-Arzneimittelbehörde EMA grünes Licht für die Zulassung von Paxlovid gegeben. Das Medikament soll das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder eines Todesfalls um 89 Prozent reduzieren. Das ergab eine von Hersteller Pfizer durchgeführte Studie mit mehr als 1.200 Erwachsenen, die sich mit dem Coronavirus infiziert und aufgrund von Vorerkrankungen ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hatten.
Im Gegensatz zu anderen Mitteln soll Paxlovid auch gegen Omikron wirken. Und es hat noch zwei weitere Vorteile: Es wird als Tablette verabreicht und nicht, wie andere Mittel, per Infusion. „Zudem hat es milde Nebenwirkungen und ist gut verträglich“, sagt Preis. Paxlovid kann seit 25. Februar dieses Jahres von Klinik- sowie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten verordnet werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM ) informiert über den Gebrauch von Paxlovid.
Für wen ist die Pille gedacht?
In der Patienten-Information des BfArM heißt es: „Paxlovid ist für Erwachsene gedacht, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und die ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren Krankheitsverlauf zu entwickeln“. Zu den laut RKI 21,6 Millionen Hoch-Risikopatienten zählen in erster Linie Menschen, die sich aufgrund von Vorerkrankungen nicht impfen lassen können, oder bei denen die Impfung nicht wirkt, weil sie immunsupprimierende Medikamente einnehmen oder unter einer Immunschwäche leiden. Auch Ältere oder Menschen, die an Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs erkrankt sind, Personen mit Übergewicht und Raucherinnen und Raucher haben ein erhöhtes Risiko, einen schweren Verlauf zu entwickeln.
Sollte jede und jeder die Pille einnehmen, um wie Lauterbach Komplikationen zu vermeiden?
Mehrere Studien haben ergeben: Patienten ohne Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen oder Bluthochdruck scheinen weniger von Paxlovid zu profitieren. „Wenn keine Corona-Infektion vorliegt, soll das Mittel nicht eingenommen werden, denn es schützt nicht prophylaktisch vor einer Infektion“, bestätigt auch Thomas Preis und betont: „Es ist ein Notfallmedikament und sollte nicht als Ersatz für die Impfung verstanden werden.“
Warum kommt Paxlovid nur selten zum Einsatz?
Warum bislang nur wenige Ärztinnen und Ärzte Paxlovid verschreiben, darüber kann nur spekuliert werden. Da das Medikament für Menschen über 60 oder genannte andere Risikogruppen gedacht ist, sind Voruntersuchungen, Gespräche und Nachuntersuchungen nötig. Und es muss schnell gehen, denn Paxlovid sollte, um zu wirken, in den ersten Tagen der Infektion verabreicht werden. All das bedeutet einen Mehraufwand. Vielleicht sind viele Mediziner auch schlecht informiert. Auf Twitter schreibt ein User, sein Arzt habe behauptet, Paxlovid würde nur im Krankenhaus verabreicht.
„Ich bin der Auffassung, dass das Mittel mehr angewendet werden sollte, als bisher geschehen. Wir haben immer noch mehrere 100.000 Ansteckungen und hunderte Todesfälle wöchentlich. Ein großer Teil davon fällt auf Patienten, die ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren Krankheitsverlauf zu entwickeln. Diese Patienten sollten nach Möglichkeit immer mit Paxlovid behandelt werden, es ist ein wichtiges Medikament, das schwere Verläufe und Tod verhindern kann“, sagt Preis.
Da es aber noch keine abschließenden Erkenntnisse und damit auch keine exakten Vorhersagen gäbe, wer schwer an dem Virus erkranken könne, sei es, so Preis, im Einzelfall erwägenswert, auch Corona-erkrankte Menschen mit Paxlovid zu behandeln, die auf den ersten Blick nicht dem Risiko eines schweren Verlaufs unterliegen - „Wir alle kennen junge Menschen ohne Vorerkrankung, die schwer und lange an Corona erkrankt sind.“ Preis warnt aber auch vor einer zu breiten Anwendung, da bereits Resistenzen des Virus gegen Paxlovid beobachtet werden.
Ein weiterer Grund für die schleppende Verordnung des Medikaments könnten die vielen Wechselwirkungen mit anderen Arzneien sein. „Wenn, wie bei älteren Menschen häufig der Fall, andere Medikamente eingenommen werden, bedarf es einer genauen pharmazeutischen Begutachtung und individueller Beratung. Die Wirkung von zahlreichen anderen Medikamenten kann sich stark verändern“, sagt Preis.
Wie komme ich möglichst schnell an das Medikament?
Preis: „Sobald ein positiver Corona-Schnelltest vorliegt, sollten Betroffene die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt kontaktieren. Der oder die Hausärztin kann daraufhin einen PCR-Test veranlassen. Erst nach einem positiven Testergebnis wird der Arzt das Medikament verschreiben.“ Dann muss es schnell gehen. Laut Preis gibt es eine Sonderregelung, die es Apotheken ermöglicht, Patienten das Medikament per Eilboten zur Verfügung zu stellen. Paxlovid muss dann fünf Tage lang zweimal täglich eingenommen werden.
Sollte Paxlovid auch von Ärzten direkt abgegeben werden können?
Bislang dürfen nur Apotheken das Mittel bei Vorliegen eines Rezepts abgeben. Ginge es nach Gesundheitsminister Lauterbach, sollten das auch Ärzte dürfen. Ob Gesundheitsminister Lauterbach dadurch die die Verschreibungszahlen erhöhen möchte, um die drohende Vernichtung von Hunderttausenden Packungen Paxlovid zu verhindern, kann nur gemutmaßt werden. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet, seien von den bestellten eine Million Packungen bisher 460.000 an den Großhandel ausgeliefert worden, 280.000 davon erreichten im Februar 2023 ihr Verfallsdatum.
Preis hält Lauterbachs Vorschlag für keine gute Idee: „Die Verordnungskette funktioniert schnell und ohne Probleme. Nach einem positiven PCR-Test-Ergebnis erst noch in die Arztpraxis zu gehen, um sich Paxlovid abzuholen, bedeutet für die Patienten, dass wertvolle Zeit für eine schnelle Therapie verloren geht.“ Besser wäre laut Preis, wenn die Apotheken Paxlovid direkt an Patienten, die einen positiven PCR-Test vorweisen können, abgeben könnten, gegebenenfalls auch nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt. So wie es in den USA bereits praktiziert wird.
Ein weiterer Grund, der laut Preis für den bisherigen Weg des Medikaments über die Apotheken spricht, sei, dass Apotheken das Medikament durchgehend und fachgerecht gelagert bereithalten können. „Gerade bei den aktuell heißen Temperaturen muss bei so einem wichtigen Medikament wie Paxlovid die Wirksamkeit und Qualität durch korrekte Lagerung gewährleistet bleiben, sprich: unterhalb einer Temperatur von 25 Grad Celsius.“
Warum kommt es trotz Paxlovid zu Reinfektionen?
Dass Covid-19 mit einer Paxlovid-Behandlung nach anfänglicher Genesung bislang in seltenen Fällen – wie etwa bei US-Präsident Joe Biden - wieder zurückkehren kann, ist seit Monaten bekannt, aber bislang ungeklärt. Eine mögliche Ursache könnte sein, dass das Mittel das Virus nicht abtötet, also nicht wie ein Antibiotikum wirkt, sondern dessen Vermehrung anhält, um dem Körper Zeit zu geben, einen eigenen Immunschutz aufzubauen. Experten gehen davon aus, dass die Dauer der Behandlung mit fünf Tagen eventuell nicht lang genug sei, so dass verbliebene Viren sich anschließend wieder vermehren können. „Hinzukommt, dass es nicht auszuschließen ist, dass die Einnahme von Paxlovid zur Entstehung einer Resistenz führen kann“, sagt Preis.