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Rundschau-Debatte des TagesKommt die Impfpflicht in der Pflege zu früh?

Lesezeit 4 Minuten

Die Kliniken sind auch auf ungeimpfte Mitarbeiter angewiesen.

Düsseldorf – Für Pfleger und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen gilt bald eine Impfpflicht. Experten halten das Bundesgesetz allerdings für halbgar. Zu viele Fragen seien noch unbeantwortet, vor allem arbeitsrechtliche.

Was heißt einrichtungsbezogene Impfpflicht überhaupt?

Bis zum 15. März 2022 müssen zum Beispiel Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, Rettungsdiensten, Entbindungsstationen, aber auch in physiotherapeutischen Praxen nachweisen, dass sie vollständig geimpft sind oder sich nicht impfen lassen können. Ohne diesen Nachweis dürften sie ab dem 16. März nicht mehr in ihren Einrichtungen arbeiten.

In den Einrichtungen

Der Caritasverband für die Stadt Köln hat bisher keine Probleme bei der Überprüfung des Impfstatus seiner Mitarbeitenden. Wie Sprecherin Marianne Jürgens mitteilt, gebe der Großteil seinen Status bereitwillig preis. „Wir haben ohnehin eine hohe Impfquote von 95 Prozent“, so Jürgens. Wer noch zweifelt, kann seine Fragen und Probleme in Gesprächen kundtun. „Einzelne konnten wir bereits überzeugen.“ Externe Dienstleister, die etwa das Reinigungspersonal stellen, überprüften den Impfstatus ihrer Mitarbeitenden eigenständig.

Die Kliniken Köln mit über 4.500 Beschäftigten haben die Abfrage des Impfstatus mit dem Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung geregelt, teilt Sprecherin Sigrid Krebs mit. Ohnehin sehe das Infektionsschutzgesetz vor, dass Kliniken den Impfstatus der Mitarbeitenden abfragen dürfen, wenn dies notwendig ist. Allerdings gebe es auch bei den Kölner Kliniken kaum ungeimpfte Mitarbeitende: Hier sind 95 Prozent der Belegschaft geimpft. (ebu)

Wie viele Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen sind geimpft?

Der Impfstatus in dieser Berufsgruppe ist zum Teil überwältigend hoch, insbesondere in großen Krankenhäusern. Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, sagt: „Wir wissen, dass das Pflegepersonal in NRW zu 95 bis 98 Prozent geimpft ist. Es gibt da große regionale Unterschiede in Deutschland. In NRW ist die Impfquote deutlich höher als zum Beispiel in den östlichen Bundesländern.“ In den Pflegeheimen dürfte die Impfquote niedriger sein als in Krankenhäusern, aber belastbare Daten fehlen.

Wo liegt also das Problem bei der geplanten Einführung?

Obwohl nur wenige Ungeimpfte in Kliniken und Pflegeheimen arbeiten, sind die Einrichtungen dringend auch auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Alexander Pröbstel, Pflegedirektor der Uniklinik Bonn, erklärt, dass er auf die 50 noch ungeimpften Mitarbeiter nicht verzichten könne. Jan von Hagen, Verdi-Sekretär für das Gesundheitswesen in NRW, sagt dazu: „Die Beschäftigten wissen, wen sie gegebenenfalls in ihrem Team verlieren würden. Das ist mit der aktuellen Personalausstattung kaum auszuhalten. Wenn jemand auf einer Intensivstation arbeitet, für die man eigentlich acht Leute benötigt, dort aber nur fünf tätig sind und nun noch zwei weitere ausfallen würden, führt das zu großem Ärger.“

Wer entscheidet über die Konsequenzen für Ungeimpfte?

Dafür sind die Gesundheitsbehörden vor Ort zuständig. Die Arbeitgeber müssen den Gesundheitsämtern jene Mitarbeiter melden, die noch nicht vollständig immunisiert sind. Die Behörden untersuchen jeden Fall und sprechen eventuell Betretungsverbote für den Arbeitsplatz aus. Arbeitgeber, die ihrer Info-Pflicht nicht nachkommen, müssen mit Bußgeldern bis zu 25000 Euro rechnen.

Sind Kündigungen und Gehaltsverlust möglich?

Ja. In einer Erläuterung des Bundesgesundheitsministeriums zum Impfpflicht-Gesetz, heißt es, die Ungeimpften müssten damit rechnen, dass der Vergütungsanspruch entfällt. „Als letztes Mittel“ könne auch eine Kündigung in Betracht kommen.

Was befürchten die Kommunen in NRW angesichts dessen?

„Es kann nicht sein, dass uns in den Städten wieder ein irrer Verwaltungsaufwand auf die Füße fällt“, warnte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), der zugleich Vize des NRW-Städtetages ist, gegenüber unserer Redaktion. Bislang sei ungeklärt, wie sich der Bund das Zusammenspiel von Arbeitgebern und Gesundheitsämtern im Umgang mit personenbezogenen Daten vorstelle und wie Beschäftigungsverbote durchgesetzt werden sollen, so Kufen.

Wie argumentiert die Bundesregierung?

Entwicklungsministerin Svenja Schulze, am Dienstag Gast der SPD-Landtagsfraktion, sagte für die Bundesregierung, „gerade jetzt“ benötige man diese Impfpflicht. „Vom medizinischen Personal darf keine Gefahr ausgehen“, so Schulze. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass sich schwer kranke Menschen in der Klinik oder im Heim infizieren.

Wie groß ist die Chance, Ungeimpfte noch zu überzeugen?

Pflegedirektor Alexander Pröbstel erklärt, ein Drittel der 50 noch nicht Geimpften in der Uniklinik Bonn signalisiere, sich mit dem neuen proteinbasierten Impfstoff immunisieren zu lassen, sobald dieser verfügbar sei. Pflegerats-Chef Ludger Risse glaubt nicht an das „Worst-Case-Szenario“ von Massenkündigungen. „Natürlich sind bei diesem Thema Emotionen im Spiel, und in sozialen Netzwerken werden zum Teil gezielt Falschinformationen zum Impfen verbreitet, um die Emotionen noch zu schüren. In meinem beruflichen Umfeld sind es aber nur Einzelne, die sich nicht impfen lassen möchten oder noch abwarten wollen.“ Ungeimpfte, die ein Beschäftigungsverbot in Kauf nehmen würden, fänden wohl nicht gleich anderswo eine neue Stelle. Viele von ihnen könnten nicht auf ihr Gehalt verzichten.