Bildungsstudie im LändervergleichWarum schneiden Viertklässler in NRW schlecht ab?
Düsseldorf/Hamburg – Um die schulischen Kompetenzen der Grundschüler in Nordrhein-Westfalen steht es nicht zum besten, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Qualitätssicherung im Bildungsbereich zeigt. Wo liegen in NRW die größten Probleme?
In Nordrhein-Westfalen haben immer mehr Grundschulkinder Probleme in den Kernfächern Mathe und Deutsch. Damit liegen die Viertklässler im Ländervergleich deutlich unter dem Durchschnitt.
Das zeigt der am Montag von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgestellte IQB-Bildungstrend. Im Auftrag der Konferenz hatte das Institut für Qualitätssicherung im Bildungsbereich (IQB) den Stand bei den Schülerinnen und Schülern untersucht. Ein Überblick über die jüngsten Ergebnisse:
Mathematik
Beim Rechnen schafft fast jeder zweite Viertklässler (47,3 Prozent) den vorgesehenen Standard, also das, was im Schnitt von Schülerinnen und Schülern in diesem Alter erwartet wird. Damit liegt NRW in Deutschland allerdings deutlich unter dem Gesamtwert.
Schulwesen ist eine Katastrophe – Ein Kommentar von Ralf Döring
Es gibt nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen: Unser Schulwesen ist eine Katastrophe. Würde man die Bundesländer zensieren – die verantworten ja die Bildungspolitik – käme keines über “ausreichend“ hinaus. Und wirklich alle haben sich verschlechtert seit der letzten Studie aus dem Jahr 2016. Die Länder betreiben nicht Bildungs- sondern Unbildungspolitik.
Warum ist das so? Sicher wird in den nächsten Tagen viel über Strukturen gesprochen. Hoffentlich wird in diesem Zusammenhang aber auch über die grundlegende Misere gesprochen, nämlich dass uns mindestens 30 000 Lehrer fehlen. Um das abzufedern, flickschustern sich die Länder Lösungen zurecht, werben um Quereinsteiger, kürzen Stundentafeln und legen Klassen zusammen. Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich auszumalen, wie sich das auf die Leistungen der Schüler auswirkt – und auf die Motivation der Lehrerkollegien.
Wie sollen nun Kinder, die aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind, in ein derart marodes Bildungssystem integriert werden? Ohnehin sind die Verlierer dieses Schulsystems diejenigen, die eh schon benachteiligt sind: die Kinder aus sozial schwachen Familien – genau die Kinder, die die maximale Unterstützung bräuchten. Doch die bleibt notgedrungen aus, und so produziert unser Schulsystem zu wenig Bildung, aber dafür sozialen Sprengstoff erster Güte.
Um den zu entschärfen, müssten die Länder endlich anfangen, ihre Schulen gut auszustatten – baulich und mit genügend Lehrkräften. Solange die Politik aber die Bedeutung von Bildung nur in Sonntagsreden beschwört, die sie bereits am Montag wieder vergessen hat, solange wird unser Schulwesen eine Katastrophe bleiben.
In Bayern erreichen die Grundschüler im Vergleich einen Spitzenwert von 66,6 Prozent. Knapp ein Drittel (28,1 Prozent) der Schülerinnen und Schüler in NRW haben so große Probleme mit dem Schulfach Mathe, dass sie den Mindeststandard nicht vorweisen können. Das sind 8,9 Prozent mehr als noch 2016.
Lesen
Jeder fünfte Grundschüler (21.6 Prozent) in NRW hat so große Probleme beim Lesen, dass er den Mindeststandard verfehlt. Damit liegt das Land über dem Bundesdurchschnitt von 18,8 Prozent. Im Vergleichsjahr 2016 waren es in Nordrhein-Westfalen nur 15,7 Prozent. Im Ländervergleich liegt NRW beim Verfehlen des Mindeststandards gleichauf mit Brandenburg. Schlechter schneiden beim Lesen nur die Bundesländer Berlin (27,2 Prozent) und Bremen (31 Prozent) ab.
Rechtschreibung
Noch schlechter als beim Lesen sieht es bei den Schülerinnen und Schülern mit der Rechtschreibung aus. Nur 39,6 Prozent erreichen den Regelstandard, während 32,6 Prozent der untersuchten NRW-Schüler erhebliche Probleme beim Schreiben haben. Fünf Jahre zuvor hatten nur 23,9 Prozent massive Probleme mit der Rechtschreibung. Heute beherrschen gerade einmal 4,4 Prozent der Grundschüler hierzulande eine einwandfreie Rechtschreibung.
Zuhören
Am stärksten sind die negativen Veränderungen bundesweit im Zuhören ausgeprägt. Gerade einmal etwas mehr als die Hälfte (53,6 Prozent) der befragten Grundschüler erreichen hier den Regelstandard. 23,3 Prozent können in der Schule nicht gut zuhören. Damit liegt NRW gemeinsam mit Berlin (27,1 Prozent) und Bremen (27,4 Prozent) über dem bundesweiten Durchschnitt.
Schüler mit Migrationshintergrund
Grundschüler mit Migrationshintergrund, die zu Hause überwiegend nicht Deutsch sprechen, schneiden beim Zuhören sowie in der Sprachkompetenz besonders schlecht ab. Gerade in Zeiten des coronabedingten Zuhause-Lernens sei die deutschsprachige Kompetenz bei vielen ins Stocken geraten, erklärte IQB-Leiterin Petra Stanat. In NRW sprechen mittlerweile 42,2 Prozent der Grundschüler zu Hause noch eine andere Sprache als Deutsch. Damit liegt das Land über dem Bundesdurchschnitt von 36,2 Prozent.
Das sagt die Landesregierung
„Der Bildungstrend legt die Schwachstellen unseres Schulsystems schonungslos offen“, teilte am Montag NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) mit. „Den Ergebnissen müssen wir uns stellen und uns fragen, was wir alle gemeinsam besser machen müssen. Wir haben viele gute Maßnahmen, Ansätze und Ideen. Aber offensichtlich ist es uns bisher nicht gelungen, mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten.“ Die NRW-Regierung werde nun alle bisherigen Maßnahmen noch einmal überprüfen. Die schon eingeleitete Stärkung der Grundschulen brauche aber Zeit, um ihre Wirkung komplett entfalten zu können.
Das sagen Lehrerverbände
„Alarmierend“, „Spiegel für Personal- und Zeitmangel“, „Zeugnis für das Versagen in der NRW-Bildungspolitik“ – Der Philologenverband, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW warnen vor einem Weiter so. „Insgesamt dürften Schulschließungen, Unterrichtsversorgung, aber auch bestimmte didaktisch-methodische Ansätze („Schreiben nach Gehör“) für das schlechte Ergebnis mitverantwortlich sein“, so Sabine Mistler, Vorsitzende des Philologenverbandes NRW. Anne Deimel vom VBE sagte: „Die Ergebnisse sind ein Weckruf an die Politik, weit mehr als bisher in das Bildungssystem zu investieren“.
Das sagt die Opposition
Während die SPD der Landesregierung vorwarf, die „Bildungskatastrophe“ nur zu verwalten und nach einer gemeinsamen Bildungskonferenz zur Sicherung des Schulfriedens in NRW rief, forderte die FDP ein Nachschärfen bei den Maßnahmen. FDP-Bildungsexperte Andreas Pinkwart nannte den Ausbau der Talentschulen, den „Masterplan Grundschule“ sowie das Programm „Ankommen und Aufholen“.
Standpunkte
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat die Ergebnisse der bundesweiten Studie zu Leistungen von Viertklässlern als alarmierend bezeichnet. „Der Anteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler, die die Mindeststandards nicht erreicht, ist viel zu hoch“, sagte die FDP-Politikerin mit Blick auf den IQB-Bildungsmonitor für das Jahr 2021. Stark-Watzinger betonte, dass coronabedingte Schulschließungen „deutliche Spuren hinterlassen“ hätten. (dpa)
Die IQB-Studie: Grundlage der Studie sind Daten von 26844 Schülern der 4. Jahrgangsstufe aus 1464 Schulen in allen 16 Bundesländern, die zwischen April und August 2021 erhoben wurden. Alle fünf Jahre werden Viertklässler in den Fächern Mathematik und Deutsch geprüft. (dpa)
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