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Nach der FlutKunststicker fertigt neue Fahne für Gemünder Schützen an

Lesezeit 7 Minuten
Ein Mann sitzt an einer Nähmschine.

Die historische Nähmaschine benutzt Alexander Tetzlaff wie einen Stift, den Fahnenstoff wie ein Blatt Papier.

Die Flut hat das Gelände und das Gelände und das Vereinsheim des Gemünder Schützenvereins zerstört. Ein Kunststicker fertigt nun eine neue Fahne an.

Das Wasser, genauer den Zusammenfluss von Urft und Olef, tragen die Gemünder seit vielen, vielen Jahren neben dem Jülicher Löwen in ihrem Wappen. Das Leben am und mit dem Wasser sind sie gewohnt. Doch seit dem 14. Juli 2021 ist alles anders: Das Wasser hat sich meterhoch aufgetürmt und alles mit sich gerissen, wessen es habhaft werden konnte. Das Gelände des Schützenvereins in Malsbenden ist ebenfalls zerstört worden, im Vereinshaus nichts mehr zu retten gewesen.

Auch die historische Fahne der Gemünder Schützen ist zerstört

Artefakte, die von Jahrhunderten Gemünder Schützentradition zeugten, sind teilweise weggespült worden. Andere hat man zwar in Schlamm und Schutt wiedergefunden – doch sie sind ruiniert. Zu letzterer Kategorie zählt auch die älteste Fahne der Bruderschaft – das Prunkstück des Schützenvereins Gemünd.

Ditmar Krumpen, der Vorsitzende des Vereins, berichtet, dass die Fahne aus dem Jahr 1860 stamme und auch deswegen einen großen ideellen Wert für die Mitglieder habe. Und überhaupt: Was mache denn ein Schützenverein ohne Fahne?

Deswegen haben sich die Vereinsmitglieder mit ihrer von dem kontaminierten Wasser beschädigten Fahne zunächst an eine Fahnenstickerei in Aachen gewandt. Dort jedoch hat man ihnen nicht helfen können – das Unternehmen bietet keine Restaurationsarbeiten für Flaggen mehr an.

Ein Kunststicker fertigt derzeit eine neue Fahne an

Glücklicherweise hat sich Christoph Kammers, Bezirksbundesmeister und ehemaliger Vorsitzender des Gemünder Vereins, an einen Schützenbruder aus Erkelenz erinnert. Der hat vor einigen Jahren begonnen, das Kunsthandwerk der Fahnenstickerei zu erlernen. Kurzerhand hat Kammers den 29-jährigen Alexander Tetzlaff um Hilfe gebeten. Doch auch als er die verdreckte Fahne gesehen hat, hat er auch nicht viel Hoffnung machen können: Das Stück ist nicht mehr zu retten.

Eine Figur in einer Ritterrüstung wird auf einen hellen Stoff gestickt.

Der heilige Sebastianus ist Patron der Gemünder Schützen.

„Die Fahne sah aus, als sei sie verschmolzen“, sagt der 29-Jährige. Das sei ganz ungewöhnlich bei natürlichen Fasern wie Seide und Baumwolle. Sein Schluss: Es müssen unfassbar viele Chemikalien in dem Flutwasser gewesen sein. „Ich konnte die Fahne nicht reparieren“, sagt Tetzlaff. Und: „Ich wollte sie nicht einmal anfassen.“

Doch von Schützenbruder zu Schützenbruder hat Tetzlaff ein Angebot gemacht: Er könne die alte zwar nicht reparieren, aber er könne eine neue Fahne sticken – zu einem Freundschaftspreis unter Schützen. Knapp 3000 Euro wird die Gemünder die neue Fahne kosten. Zum Vergleich: Normalerweise würde Tetzlaff für solch eine Fahne beinahe das Doppelte nehmen. „Aber wir Schützen sind ein christlicher Verband“, sagt er. Deswegen hätte er ein schlechtes Gewissen, wenn er aus dem Schicksal der Gemünder Profit schlagen würde.

Das Material ist nicht leicht zu beschaffen

Um eine Fahne wie die der Gemünder zu sticken, benötige man zunächst eine ganze Reihe immer schwerer zu beschaffender Materialien, sagt Alexander Tetzlaff. Er lässt den Blick durch seinen ungefähr 15 Quadratmeter großen Handwerksraum schweifen. Es riecht nach Stoff, warmen Maschinen und Schneiderkreide. An den Wänden hängt Garn in allen Farben – glänzend wie matt. Darunter stehen historische Nähmaschinen.

In seine Ausstattung hat Tetzlaff von 2019 bis heute bereits 6000 Euro investiert. Und dabei hat er häufig Glück gehabt. Eine der Nähmaschinen habe er zum Beispiel günstig im Internet bekommen – von einem Faschingsmaskenschnitzer aus dem Schwarzwald. „Da hat ein altes Handwerk einem anderen alten Handwerk ausgeholfen“, sagt Tetzlaff und lacht.

Die Kunststickerei ist ein aussterbendes Handwerk

Schwieriger als an die historischen Nähmaschinen sei es mittlerweile, an den Fahnenstoff zu kommen, erklärt er. Daran merke er deutlich, dass die Kunststickerei ein aussterbendes Gewerk sei. In Deutschland gebe es mittlerweile nur noch eine einzige Weberei, die Fahnenstoffe herstellt. Die befinde sich in Krefeld. Eine Alternative zu dieser Firma hat Tetzlaff bis jetzt nicht gefunden – auch im Internet nicht.

Wenn es die Krefelder Firma irgendwann nicht mehr geben sollte, sehe es zunächst einmal düster aus. Man könne nämlich nicht einfach in einen Stoffladen gehen und irgendeinen Baumwollstoff kaufen. Damit eine Fahne 50 Jahre ohne größere Blessuren überleben könne, brauche man einfach einen speziellen Fahnenstoff.

Durch eine Notlage ist Alexander Tetzlaff zur Kunststickerei gekommen

Genauso spärlich wie der Fahnenstoff sei auch das Know-how über die alte Handwerkskunst gesät. Wie die Gemünder hat sich sich Tetzlaff das erste Mal mit der Kunststickerei aus einer Notsituation heraus beschäftigt. 2019 ist das gewesen, als die Fahne seiner eigenen Schützenbruderschaft war kaputt gegangen war restauriert werden musste.

Das Wappen von Gemünd mit einem Löwen ist auf grünem Stoff zu sehen.

Das Gemünder Wappen mit den namensgebenden Flussmündungen.

Dadurch hat er eine Kunststickerin aus Haltern am See kennengelernt - und sich sofort in das Handwerk verliebt. Überstürzt habe er damals Garne im Ein-Euro-Laden gekauft. „Die waren natürlich alle aus Polyester und für die Fahnenstickerei überhaupt nicht zu gebrauchen“, sagt er und lacht. Aber das habe er damals eben noch nicht gewusst.

Fachliteratur gibt's von der „Royal School of Needlework“

Überhaupt sei es schwierig gewesen, an Literatur, geeignete Materialien und Anleitungen zu kommen. „Die Geheimnisse dieser Handwerkskunst liegen im Verborgenen“, sagt er. Wenn man anfange, sich dafür zu interessieren, tappe man zunächst im Dunkeln. Auf der Suche nach Informationen über die Kunststickerei werde man schnell zum Jäger und Sammler.

Im deutschsprachigem Raum erfahre man über den eigentlichen Herstellungsprozess wenig. Die Fachliteratur, die es gebe, komme aus Großbritannien. So gebe es etwa einige Werke von der „Royal School of Needlework“. Die habe Tetzlaff bei seinem autodidaktischen Lernprozess besonders geholfen. Genauso wie die britische Youtuberin Sarah Homfray, die verschiedene Handsticktechniken in ihren sogenannten Tutorials – also Lehrvideos – sehr anschaulich darstelle. In Bayern gebe es außerdem eine Schule, die Kurse in Kunststickerei anbiete.

In der Gemünder Fahne werden rund 80 Stunden Arbeit stecken

Aber das sei für Tetzlaff nie eine Option gewesen. Dafür liebe er seinen Hauptberuf als katholischer Gemeindereferent zu sehr. Die freiberufliche Kunststickerei sei für ihn eher ein stiller, beinahe meditativer Ausgleich zu seinem geselligen Beruf, den er als „Sozialarbeiter mit Religionshintergrund“ beschreibt. Wenn er stickt, dann ist es still. Dann hört Tetzlaff keine Musik, kein Radio – nur das Rascheln des Stoffs und das Rattern der Nähmaschine.

Schon 40 stille Stunden hat der Erkelenzer in die Arbeit an der Gemünder Fahne investiert. Und weitere 40 folgten noch, sagt Tetzlaff. Das Mittelmotiv der „Heimatseite“ der Fahne. Den Jülicher Löwen, umgeben vom Zusammenfluss von Urft und Olef, hat Tetzlaff bereits auf einen Grundstoff gestickt.

Dabei habe er die Form   leicht modernisiert. Der Löwe sei vorher etwas klobiger gewesen. Die Zunge habe den ganzen Mund ausgefüllt. Nun sei der ganze Löwe filigraner, die Zunge fein geschwungen. „Ich bin Künstler durch und durch“, sagt Tetzlaff. Wie jeder Künstler bringe eben auch er seine eigene Handschrift, seine eigenen Interpretationen in sein Werk ein.

Das Wappen hat Tetzlaff bereits mit einer Borte gerahmt und auf den Grundstoff genäht. Das Mittelmotiv der „Vereinsseite“ der Fahne – den heiligen Sebastianus in römischer Uniform – näht er gerade. Wenn Tetzlaff vom Nähen spricht, sagt er manchmal „malen“. Und wenn er von seiner Nähmaschine spricht, sagt er manchmal „Stift“. Den heiligen Sebastianus müsse er   noch „ausmalen“, bevor   die Schriftzüge und Eckmotive auf den Fahnengrund gestickt, die Fahne auf Endmaß gebracht und die Trageschlaufen angebracht würden.

Dann könne der Gemünder Schützenverein in diesem Jahr wieder stolz die Fahne schwenken, sagt Tetzlaff.


Gemünder Schützen warten auf die Wiederaufbauhilfe

Der Wiederaufbau des Schützenhauses in Gemünd stagniert zurzeit, berichtet Ditmar Krumpen, Vorsitzender des Schützenvereins. Das Vereinshaus stehe nach wie vor im Rohbau. Der Antrag auf Wiederaufbauhilfe ist inzwischen gestellt, und Krumpen ist zuversichtlich, dass dieser auch positiv beschieden wird. Mittlerweile bekomme man auch wieder Handwerker, sagt der Vorsitzende. Er geht davon aus, dass der Wiederaufbau zügig vonstatten gehen könne, sobald das Geld da sei.

Auch anderthalb Jahre nach der Flut reißen die Hilfsangebote für den Verein nicht ab. Sie kommen aus ganz Deutschland, sagt Krumpen. Helfende Hände seien etwa aus dem Sauerland, aus Essen oder Baden-Württemberg angeboten worden. Doch derzeit könnten die Helfer noch wenig ausrichten, sagt Krumpen. Alles hängt derzeit an der Genehmigung des Wiederaufbau-Antrags. Immerhin gebe es jetzt Schließfächer, um diverse Sachen – teure Werkzeuge beispielsweise – wegzuschließen, die vorher immer wieder gestohlen wurden, sagt Krumpen. So mache man erstmal keine weiteren Verluste.

Viele der Vereinsmitglieder waren von der Flut auch persönlich betroffen – privat wie geschäftlich. Es sei klar, dass deren Wiederaufbauarbeiten Vorrang vor dem Schützenhaus haben, sagt Krumpen. Daher habe man, was den Wiederaufbau des Vereinsheims angehe, nicht zu sehr aufs Tempo gedrückt. „Zuerst kommen immer die Menschen“, sagt Krumpen. Die Zuversicht hat Krumpen indes nicht verloren. Er hofft, dass die Gemünder trotz aller Verzögerungen , im kommenden Jahr das Bezirksschützenfest ausrichten können. (kkr)