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Interview

Museumsdirektor zur Sammlung Wallraf
„Es fehlt kein wichtiger Meister für Köln“

Lesezeit 6 Minuten
Der Kunsthistoriker Marcus Dekiert in seinem Büro im WRM.

Der Kunsthistoriker Marcus Dekiert in seinem Büro im WRM.

Museumsdirektor Marcus Dekiert im Gespräch über das Erbe des Sammlers Ferdinand Franz Wallraf, der vor 200 Jahren starb.

Ferdinand Franz Wallraf hinterließ der Stadt eine umfassende Sammlung. Diese in ihrer Komplexität an einem Ort zu zeigen, erwies sich als unmöglich. Jan Sting sprach mit Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, über die heutige Form der Präsentation.

Wie prägt der Sammler Ferdinand Franz Wallraf bis heute das Haus?

Es ist die Gemäldesammlung vor allem der spätmittelalterlichen Tafelmalerei. Diese ist der Grundpfeiler des Wallraf-Richartz-Museums, das 1861 gegründet wurde. Damals stellte Johann Heinrich Richartz das notwendige Geld zur Verfügung, um fast 40 Jahre nachdem Wallraf der Stadt seine Sammlung vererbte, endlich ein angemessenes Gebäude zu bauen. Zu den Gemälden kommen noch einige hundert Zeichnungen und Druckgrafik.

Die ursprüngliche Sammlung wurde auseinandergezogen, konnte nicht in ihrer Komplexität gezeigt werden.

Aus dem gewaltigen Sammlungskonvolut, das Wallraf um 1800 zusammentrug, ist der Bereich der Bildenden Kunst der bedeutendste. Und dieser prägt unser Museum bis heute stark: Das gesamte erste Obergeschoss im Museum ist dem Mittelalter gewidmet. Es ist eine der international bedeutendsten Mittelaltersammlungen mit einem Schwerpunkt auf der Malkunst in Köln. So gut wie hier kann man diese an keinem anderen Ort weltweit anschauen. Sie gehört zur DNA des Hauses und zu seinem Profil.

Was würden Sie Wallraf gerne einmal fragen, wenn Sie ihm begegneten?

Ich würde ihn fragen, was sein Konzept war. Ob er überhaupt ein definiertes Konzept hatte. Und wenn ja, wie er es umsetzte. Man sagt immer leichthin, dass seine Sammlung zuletzt ein Chaos gewesen sei, das er nicht mehr überblickte. Die schiere Menge der Objekte und deren schlechte Unterbringung legen das nahe. Anderseits, tat er das, was er tat, natürlich bewusst. Er hat sich dafür eingesetzt, zahllose Dinge zusammenzutragen und stets mit dem Blick darauf, diese irgendwann auszustellen. Schon zu seinen Lebzeiten bewegte ihn dieser Gedanke, seine Sammlung öffentlich zugänglich zu machen. Als er 1812 in Paris war, hat er im Musée Napoléon gesehen, dass Zehntausende kamen, um sich die Kunstwerke dort anzusehen. Es muss für ihn eine beglückende Erfahrung gewesen sein, dass man mit Kunstwerken Menschen erreicht. Das hat er in seinem Testament dann auch mit klaren Vorgaben benannt.

Gibt es Lücken, Dinge, von denen Sie denken, es wäre phänomenal, wenn man die Sammlung damit komplettieren könnte?

Diese Frage stellt sich Museumsleute stets. Und mir würde das im 19. Jahrhundert und mehr noch im Barock leichter fallen, dazu etwas zu sagen. Was aber die Sammlung der Malerei des späten Mittelalters angeht, die in und für Köln geschaffen wurde, ist zu sagen, dass kein wichtiger Meister fehlt, keine wichtige Werkstatt. Jeder Meister ist mit Hauptwerken vertreten. Dabei ist zu betonen, dass nicht alle Künstler aus Köln stammten. Stefan Lochner etwa kam vom Bodensee, andere kamen aus den Niederlanden. Es ging sehr international in der Stadt zu, weil es hier so viele Kirchen und Hauskapellen auszustatten gab.

Aber es wanderten in der Säkularisation auch Werke aus Köln ab.

Es gibt noch andere herausragende Konvolute. Die großartige Sammlung der Brüder Boisserée etwa ist letztlich in München gelandet, nachdem sie an anderen Orten angeboten wurde. Dennoch bleibt die Kölner Sammlung außergewöhnlich. Nimmt man noch hinzu, was in den Kirchen vorhanden ist – denken wir nur an das herrliche „Dombild“ von Lochner – dann ist vieles hier vor Ort, was man gesehen haben muss, um zu verstehen, welcher Glanz und welche Pracht im Köln des 15. und 16. Jahrhunderts herrschten.

Würden Sie sagen, Wallraf hatte am Ende selbst noch einen Überblick?

Ganz gewiss nicht. Ich glaube, das war nicht mehr zu machen. Seine Sammelleidenschaft war am Ende entgrenzt. Wallraf war kein großer Kunstkenner. Zwar hat er Kunstwerke erkannt und sich dafür interessiert. Aber was ihn getrieben hat, war vor allem, dass Alte Köln über eine sehr schwierige Periode hinüberzuretten: Im 18. Jahrhundert war das provinziell gewordene Köln unter zunächst französische, dann preußische Herrschaft geraten. Dass er über diese unruhigen Zeiten etwas von dem bringen konnte, was die Stadt im 15., 16. und vielleicht noch im frühem 17. Jahrhundert ausgemacht hat, trieb ihn an. Nur so erklärt sich sein enorm universeller Ansatz: Vom römischen Artefakt über Münzen bis zur Buchmalerei, von Archivalien über die Tafelmalerei bis hin zu Mineralien zu sammeln. Es ist dies ein im Grunde sehr traditionelles Sammlungsverständnis, nämlich ein vielgestaltiges Ganzes zu zeigen. Ich stelle es mir immer so vor, dass Wallraf an einem Tisch sitzt und ein großes Puzzle auslegt, und möglichst viele von den tausenden Teilen zusammenzubringen sucht. Natürlich erreicht er bei weitem nicht alle Teile, aber doch setzt er ein Bild zusammen, an dem man erkennt, was einmal war. Ich glaube, darum ist es ihm gegangen. Liest man die Bestimmungen in seinem Testament, wo er festlegt, dass seine Dinge zusammenbleiben sollen, um der Lehre und der Geschmacksbildung für kommende Kölner Generationen zu dienen, dann wird sein Wunsch ersichtlich, dass die Stadt Köln im Bewusstsein einer großen Tradition nun im 19. Jahrhundert wieder aufstreben könne.

Er war also als Hochschullehrer und Universalgelehrter auch Pädagoge.

Ein guter Pädagoge war er auf jeden Fall, seine Sammlungstätigkeit begann wesentlich als Lehrsammlung, die Studierenden zur Anschauung dienen sollte. Dann kam es zur Aufhebung dieser Universität unter den Franzosen und es war sein großes Ziel, dass wieder eine Universität in Köln gegründet werde. Gerade der Aspekt der Erziehung, der Volksbildung war für Wallraf von hoher Bedeutung.

Das war für ihn nicht immer einfach.

Er hat Niederlagen hinnehmen müssen, etwa, dass die Universität in Bonn gegründet wurde und nicht in Köln oder, dass die Kunstakademie nach Düsseldorf ging – das war für ihn schwer zu akzeptieren. Er hat damals mitunter auch an seiner Vaterstadt gelitten, wohl auch daran, dass man nicht immer für und mit ihm gekämpft hat. Die Sammlung des Barons von Hüpsch ist seiner Zeit nach Darmstadt gegangen, weil der Sammler die Unterstützung in Köln nicht erhielt. Man muss es Wallraf hoch anrechnen, dass er das mit seiner Sammlung trotzdem durchgezogen und diese bis zum Ende vor Ort beibehalten hat.

Wo gibt es neben dem Wallraf-Richartz-Museum noch andere Hotspots mit Beständen aus seiner Sammlung?

Das Museum für Angewandte Kunst Köln hat Kunstgewerbliches, das Wallraf auch sammelte. Er kam aus einer Zeit, in der es Kunst- und Wunderkammern gab, in denen vieles Unterschiedliche noch beieinander war und diese verschiedenen Teile ein Ganzes ergeben sollten. Doch die allgemeine Entwicklung musealer Präsentation lief schon bald nach seinem Tod in eine andere Richtung. Man ordnete die Dinge und teilte sie auf. Das ist in der Kölner Museumsgeschichte gut zu sehen. Das Wallraf-Richartz-Museum als ältestes Museum der Stadt eröffnete 1861, dann wurden 1888 zunächst das Kunstgewerbemuseum und das Historische Museum (Stadtmuseum) gegründet, ganz zuletzt 1945 das Römisch-Germanische Museum. Bis dahin war das Altertum noch Teil des Wallraf-Richartz-Museums. Eine zunehmende Spezialisierung fand statt, so, dass wir heute Wallrafs Bestände an vielen Orten finden. Man sieht in den Museen indes einzelne Stücke, aber nicht mehr das Konvolut, nicht mehr das Ganze. Das ist der Preis, den man für die Spezialisierung bezahlt.