Der Autor Willi Achten blickt in seinem neuen Buch auf die Beziehung zweier Brüder im Tagebaugebiet.
Rheinischer Autor Willi Achten„Einmaligkeit des Lebens“ erzählt vom Leben mit dem Tagebau

Der Autor Willi Achten.
Copyright: Heike Lachmann
Sein Heimatdorf Kirschrath soll weggebaggert werden. Für Simon ist das schlimm. Aber noch viel schlimmer wäre es für seinen Bruder Vinzenz, zu erfahren, dass das Angebot für ein Ersatzgrundstück in einem anonymen Trabantendorf schon auf dem Küchentisch liegt. Simon hält die Nachricht von ihm fern, um ihn zu schützen.
Bagger arbeiten sich heran
In „Die Einmaligkeit des Lebens“ erzählt Willi Achten von zwei Jungs, die Ende der 1980 er Jahre widerborstig sind, sich gegenseitig unterstützen und es beim Fußball zur Berühmtheit in Kirschrath bringen. Dann wechselt er in das Jahr 2017: Über die Jahre blieben die Brüder verbunden und stehen nun vor den Herausforderungen einer tödlichen Krankheit, die Vinzenz trifft.
Die fein durchkomponierte und unaufgeregt erzählte Geschichte lebt von der präzisen Beobachtung des Autors, wunderbaren Landschaftsbeschreibungen und der Aufrichtigkeit seiner Protagonisten. Helmut, Sohn eines solventen Versicherungsmaklers, ein Schleimer im schulischen und kirchlichen Umfeld von Vinzenz und Simon, läuft ebenso auf wie später der Unterhändler des Energieriesen, der ihnen den elterlichen Hof abkaufen will.
Die Geschichte der Brüder wird vom Tagebau berührt. Immer schon, auch als es noch eine scheinbar heile Welt war. Die Eltern holen als Obstbauern alles aus dem satten Boden heraus. Doch schon in den 1980er Jahren wissen sie, dass die Bagger nur noch zehn Kilometer entfernt sind. Das ist ein Arbeiten auf Zeit, aber die Familie bleibt verwurzelt. Ihren Hof gewinnt auch der Leser schnell lieb.
Unfähig, zu handeln
Vor allem aber ist Achtens neuer Roman ein Buch vom Sterben. Ein sehr persönliches, in das viel Erfahrung und Beobachtung beim Kampf mit einer tödlichen Krankheit seines eigenen Bruders fließt. Auch Romanfigur Vinzenz hat einen Tumor im Kopf, seine Reaktion ist immer stärker eingeschränkt. Der Begriff der Raumforderung aus der Medizin, der für die Volumenzunahme einer Struktur im Körperinneren steht, korrespondiert im Roman mit den Umwälzungen des Tagebaus.
Beides verschafft ein mulmiges Gefühl. Die Hilflosigkeit macht wehrlos. „Das größte Problem ist die Unfähigkeit zu handeln“, sagt Achten. Kindlich sei die Hoffnung, etwas zu retten. Beim Begleiten des sterbenden Bruders, so Achten, habe er viele Ideen gehabt, gegen die Krankheit mit neuen Methoden anzugehen — diese aber immer wieder verwerfen müssen. Während seiner Recherchen nahm Achten an Demonstrationen der Braunkohlegegner teil, sprach mit Aktivisten und Menschen aus Lützerath, erfuhr von ihren Geschichten.
Das alles gibt dem Roman eine Authentizität, die greifbar ist. Auch an einem Marsch zur Abbruchkante des Tagebaus nahm der Autor teil. „Am Abgrund kommt man auf Ideen“, sagt er. Ideen vermittelt auch sein Buch. Rückgriffe auf die eigene Geschichte fließen in den Roman ein. Vinzenz will zu einem Zeitpunkt, als sich die Symptome seiner Tumorerkrankung nicht mehr leugnen lassen, in Kirschrath den berühmten Schnitzaltar restaurieren, der schon in der Jugendzeit eine Rolle unter den Brüdern spielte, als Simon aus Versehen den Judas herunterriss. Der Ältere reparierte mit Geschick, das dem Restaurator auffiel. Die berufliche Laufbahn war eingeleitet.
Schnitzaltar aus dem Mittelalter
Ein berühmtes Kunstwerk steht auch in Achtens Heimat, in der Elmter Kapelle St. Maria an der Heiden in Overhetfeld am Niederrhein. Die Kapelle beherbergt einen kostbaren flandrischen Schnitzaltar. Er wurde 1530/1540 in Antwerpen für das Kloster Gräfenthal/Kleve hergestellt. „Ich habe mich viel mit meiner Heimat während des Schreibens beschäftigt“, sagt Achten. Die Beziehung unter Brüdern stand schon in Achtens Romanen „Die wir liebten“ und „Rückkehr“ im Mittelpunkt. „Es ist immer eine Brisanz dabei.
Große Nähe und auch Konkurrenz“, sagt er im Gespräch mit der Rundschau. Schillernd ist die Figur von Martha angelegt, der Tochter des Kirschrather Bestatters. In sie ist Simon verliebt. Sie wird gleichwohl von Helmut umworben, von dem sie nichts wissen will. Aber wahrscheinlich wirft sie ein Auge auf Vinzenz. Nachdem so einiges schief gelaufen ist, zieht sich Simon in einen Feuerwachturm im Wald zurück. Dort findet ihn Martha. Die im Jahr 2017 im Roman wieder auftaucht, um Simon in seiner Trauer um den Bruder beizustehen.
Willi Achten wurde 1958 in Mönchengladbach geboren und wuchs in einem Dorf am Niederrhein auf. Seit den 1990er Jahren arbeitet er als Schritsteller. Er lebt mit seiner Frau im niederländischen Vaals bei Aachen. Zuletzt erschienen bei Pieper seine Romane „Die wir liebten“ und „Rückkehr“.
Willi Achten: Die Einmaligkeit des Lebens, Verlag Piper. 224 S. 24 Euro.