Von Marie Antoinette bis Janet Jackson: Das Buch „Gerade gerückt“ thematisiert Ungerechtigkeiten im Vergleich der Geschlechter und was Frauen ihre Karriere kosten kann.
Weiblicher Blick auf SkandaleWie unterschiedlich Männer und Frauen beurteilt werden
„Uns ging es nie darum, feministische Ikonen zu schaffen“, betont Beate Hausbichler. Vielmehr wollen sie und ihre Kollegin Noura Maan „sexistische und frauenfeindliche Perspektiven“ in der öffentlichen Berichterstattung über Frauen entlarven und geraderücken.
So heißt auch das Projekt der beiden Journalistinnen, das zunächst als fortlaufende Reihe in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ begann und mittlerweile auch als Buch vorliegt: „Gerade gerückt“. Das Thema liegt im Trend. Auch in den sozialen Medien, etwa bei Instagram, befassen sich derzeit mehrere Seiten mit vergessenen oder einseitig dargestellten Frauen aus der jüngeren und ferneren Vergangenheit.
Kein Phänomen der Social-Media-Zeit
Ein Buch zu dem Thema könnte also durchaus die eine oder andere „Jetzt ist es aber auch mal gut“-Reaktion auslösen. Doch gerade Leserinnen werden bei der Lektüre immer wieder Aha-Erlebnisse haben. Denn obwohl die öffentliche Berichterstattung oft auf das Konto von Männern geht, ließen und lassen sich auch Frauen oft von einseitigen Darstellungen manipulieren.
Dies ist kein Phänomen des Social-Media-Zeitalters, sondern existierte schon immer. Das zeigen im Buch nicht nur Beispiele wie Romy Schneider und Jean Seberg. Schon Frankreichs Königin Marie-Antoinette wurde – ohne Berücksichtigung ihrer besonderen Lebensumstände, die ihr kaum eigenen Handlungsspielraum ließen – öffentlich als rücksichtslose Egoistin angeprangert, die mit ihrer Verschwendungssucht die französische Revolution geradezu heraufbeschworen habe.
Prominente Frauen in Rechtfertigungszwang
Doch auch und gerade im Internet- und Social-Media-geprägten 21. Jahrhundert sehen prominente Frauen sich immer wieder genötigt, sich öffentlich für etwas zu rechtfertigen, für das sie selber oft gar nichts können. Zu den prominentesten Beispielen gehört etwa der als „Nipplegate“ in die Annalen eingegangene – und von Justin Timberlake verantwortete – Busenblitzer von Janet Jackson in der Super-Bowl-Halbzeitpause 2004. Ohne jede Grundlage wurde ihr öffentlich unterstellt, sie habe den Zwischenfall inszeniert, um ihre Karriere zu pushen – die stattdessen massiven Schaden nahm. Verursacher Timberlake durfte indes noch im selben Jahr seinen ersten Grammy entgegennehmen.
Auch der Fall Gina-Lisa Lohfink ist im Buch vertreten. 2012 zeigte sie eine Vergewaltigung an, die letztlich zum Auslöser der „Nein heißt Nein“-Kampagne wurde. In ihrem Fall kam zu der tendenziösen Berichterstattung, die dem meist recht freizügig auftretenden Reality-Sternchen eine Mitschuld unterstellen wollte, noch die kaum verhohlene Missbilligung bestimmter feministischer Lager, denen ein Dorn im Auge war, dass ausgerechnet „so eine“ zum Sinnbild der Bewegung wurde. Doch es geht, wie von Hausbichler schon eingangs erläutert, auch gar nicht um Ikonisierung, sondern darum „dass es nicht darauf ankommt, wie eine Frau aussieht, sich verhält oder sich kleidet. Eine Vergewaltigung bleibt eine Vergewaltigung.“
Johnny Depp versus Amber Heard – die Frau als Hexe
Passiert es ihnen hin und wieder noch selber, dass sie in eine Vorurteilsfalle tappen? Eigentlich, sagen sie, hätten sie da durchaus eine professionelle Instanz entwickelt. Sehr selten aber passiere es dann doch, fügt Maan hinzu und nennt als Beispiel den Scheidungskrieg Johnny Depp versus Amber Heard. „Er hat gezeigt, dass wir trotz allem immer noch in der Lage sind, in die Falle zu tappen und die Frau als manipulative Hexe zu betrachten.“
Welche Geschichten im Buch gingen ihnen persönlich besonders nah? Für Hausbichler ist es Sharon Stone, die unter fadenscheinigen Begründungen überredet wurde, in der berühmten „Basic Instinct“-Szene auf einen Slip zu verzichten und von den Folgen kalt erwischt wurde. Noch Jahre später, so Hausbichler, sei Stones Sohn - der zu dem Zeitpunkt vier Jahre alt war - im Sorgerechtsprozess vom Richter gefragt worden: „Weißt du, dass deine Mutter Sexfilme dreht?“
Maan dagegen berührt besonders die Geschichte von Tic Tac Toe: „Das war meine Generation. Die hatten total progressive Songs, wie ‚Große Jungs weinen nicht‘, wo es um toxische Männlichkeit geht. In Erinnerung bleiben aber drei hysterische Zicken, die sich in aller Öffentlichkeit auf einer Bühne gegenseitig niedermachen.“
Das Projekt „Gerade gerückt“ ist mit dem Buch nicht abgeschlossen. Auf www.derstandard.at/diestandard/geradegerueckt werden weiterhin neue Texte veröffentlicht. Jüngst hinzugekommen sind etwa Madonna, Cher und Shannon Doherty.
Beate Hausbichler/Noura Maan (Herausgeberinnen): Gerade gerückt, Sachbuch, Kremayr und Scheriau, 224 Seiten, 24 Euro