Vor bald 80 Jahren kam der Film „Meet Me In St. Louis“ in die Kinos. Seitdem gehört Judy Garlands Lied „Have yourself a merry little Christmas“ zu den Weihnachtsklassikern. In diesem Jahr passt der Text wie nie zuvor.
„Have yourself a merry little Christmas“Warum Judy Garlands Lied so gut zu diesem Jahr passt

Judy Garland und Margaret O'Brien in „Meet Me In St. Louis“.
Copyright: Waner Brothers
Mit weit aufgerissenen Augen sitzt Judy Garland da und tröstet singend ihre kleine Filmschwester, die Rotz und Wasser heult. „Have yourself a merry little Christmas“ heißt das Lied von Hugh Martin und Ralph Blane, das im 1944er Film „Meet Me In St. Louis“ darüber weghelfen soll, dass die Familie aus den Südstaaten nach New York ziehen soll.
Und wenn man sich den Text genau anschaut, scheint das Lied auch auf das Weihnachtsfest Anno 2022 zu passen. „Mach dir ein frohes kleines Weihnachtsfest, lass dein Herz leicht sein“ heißt es da. Und daran schließt sich das Versprechen an, dass im kommenden Jahr all unsere Sorgen aus dem Blickfeld verschwunden seien – oder zumindest Meilen entfernt. Die Fragen, die uns umtreiben.
Als der Film von Regisseur und Garlands späterem Ehemann Vincente Minnelli im November 1944 in die Kinos kam, befand sich die Menschen mitten im Zweiten Weltkrieg, dessen Ende ein gutes halbes Jahr später noch niemand voraussehen sehen konnte. Mit Blick auf die Soldaten an der Front in Europa erklärt sich auch eine Zeile in der ersten Form des Textes: dass dieses Weihnachtsfest auch das letzte sein könnte.
Wenn ich das für die kleine Margaret O’Brien singe, halten die Zuschauer mich für ein Monster.
Als Judy Garland die Fassung zu hören bekam, lehnte sie das Lied rundheraus ab: „Wenn ich das für die kleine Margaret O’Brien singe, halten die Zuschauer mich für ein Monster“, soll sie laut Autor Hugh Martin über die Zeile gesagt haben. Er habe sich, so schreibt Martin in seiner Autobiografie, in seiner künstlerischen Ehre angegriffen gefühlt, ließ sich aber schließlich überzeugen, den Text weniger drastisch zu formulieren.
Was auch besser zur Leinwand-Geschichte passt, die um die Jahrhundertwende spielt und in der die Sorgen eher von der zu belächelnden Art sind: Will der Mann, den ich liebe, mich heiraten? Wird der Junge, der nebenan eingezogen ist, mich irgendwann beachten? Wie verschaffe ich mir als jüngstes von fünf Geschwistern die für mich nötige Aufmerksamkeit? Und vor allem: Wie kann Vater es uns antun, nur wegen eines Jobs die komplette Familie vom kuscheligen St. Louis ins sehr weit entfernte New York zu verpflanzen?
Dioe Fragen unserer Tage
Derzeit treiben uns viel größere Fragen um: Wohin geht die Reise – in den nächsten Wochen, in den nächsten Monaten, im nächsten Jahr und darüber hinaus? Wie lange wird der Krieg in der Ukraine noch dauern? Wie lange werden wir dessen Folgen im wahrsten Sinne des Wortes abarbeiten müssen? Oder die Folgen der Corona-Pandemie, finanziell und auch personell? Wie können wir es schaffen, dass es irgendwann wieder genügend helfende Hände in der Pflege oder etwa in der Gastronomie gibt?
Wann werden die Geflüchteten sich hier heimisch fühlen dürfen – oder können ihre Heimat als wieder als sicheren Zufluchtsort betrachten? Was können wir gegen den Klimawandel tun? Und wie können alle diese Probleme bewältigt werden? Die Zeiten waren immer schon und immer wieder schwer und schwierig. In diesem und im nächsten Jahr scheinen sie durch die schiere Vielfalt der „Baustellen“besonders kompliziert.
Irgendwie durchwursteln
Doch auch hier hat Judy Garland in ihrem Lied einen Rat parat: „We have to muddle through somehow“ – wir müssen uns irgendwie durchwursteln. Pragmatisch bleiben. Den Kopf über Wasser halten. Auf der persönlichen Agenda einen Punkt nach dem anderen abarbeiten. Und auf das konzentrieren, was man auf der Haben-Seite verbuchen kann.
Für Judy und ihre Filmfamilie sind das „faithful friends who are dear to us, gather near to us once more“: treue Freunde, die uns lieb und teuer sind und die wir um uns versammeln. Dabei kommt es selbstredend nicht auf die Menge der Menschen, sondern auf die Qualität der Beziehung an. Und wie man die Feiertage für alle Beteiligten angenehm und stressfrei ablaufen lässt. Dazu Judy Garlands abschließender Tipp: „Make the yuletide gay“ – mach das Weihnachtsfest fröhlich! Dem ist nichts hinzuzufügen.
Sinatras Sonderwunsch
Wenn Stars, die einen Song aufnehmen wollen, berühmt genug sind, können sie auch persönliche Wünsche durchdrücken. So gefiel Frank Sinatra die vorletzte Zeile „to muddle through somehow“ nicht, Frankie-Boy wollte sich nicht durchwursteln. Er ließ sie von Martin dahingehend ändern, dass „ein strahlender Stern auf den höchsten Ast“ gehängt werden soll: „Hang a shining star upon the highest bow.“
In dieser Fassung wird das Lied bis heute oft gecovert, etwa von Michael Buble, Sam Smith, Barbra Streisand, Josh Groban und jüngst von Joss Stone. Rod Stewart, Bette Midler oder Christina Aguilera hingegen singen nach wie vor Judy Garlands Filmversion.