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Udo Jürgens' 90. GeburtstagWarum mögen wir seine Musik immer noch?

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 05.02.2012, Nordrhein-Westfalen, Köln: Der Sänger Udo Jürgens steht beim Auftakt seiner Tournee "Der ganz normale Wahnsinn" auf der Bühne. (zu dpa: «Unveröffentlichtes Lied von Udo Jürgens kommt heraus») Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Udo Jürgens 2012 bei Tourauftakt in der Lanxess Arena.

Am 30. September wäre Udo Jürgens 90 Jahre alt geworden – Show und Dokumentation zum zehnten Todestag am 21. Dezember

„Mitten im Leben“ nannte Udo Jürgens sein Album, das vor zehn Jahren erschien, ein gutes halbes Jahr vor seinem 80. Geburtstag am 30. September 2014. Damals dachte man: Klasse, der Titel passt zu diesem energiegeladenen Mannsbild.

Überhaupt: Udo 80? So betitelte der Musiker mal ein anderes Album und bezog sich dabei auf das Jahr 1980. Für den Mann, der kurz nach dem 80. noch einmal auf eine große Tournee ging, schien das als Altersangabe unvorstellbar. Und als er dann ein paar Monate später, am 21. Dezember 2014, ganz unerwartet stirbt, wird er mitten aus dem Leben gerissen.

Am 7. Dezember gibt er noch ein Konzert in Züricher Hallenstadion, zwei Wochen später bricht er bei einem Spaziergang an der Seepromenade in Gottlieben im Schweizer Kanton Thurgau zusammen. Eine Art von Tod, die man jedem wünschen kann.

Immer was zu sagen, immer was zu singen

Vielleicht hat auch dieses Plötzliche, dieses Überraschende dazu beigetragen, dass Udo Jürgens in so guter Erinnerung ist. Nie, weder bei den letzten Platten noch bei den Auftritten in jener Zeit, taucht der Gedanke „Ist das noch nötig?“ auf. Bis zum Schluss hat er immer noch was zu sagen, immer noch was zu singen – und zwar nicht nur die Hits aus den 60er und 70er Jahren.

Gerade Letztere bilden den Kanon, auf den sich (praktisch) alle einigen können. „Griechischer Wein“ (1974), „Ein ehrenwertes Haus“ (1975), „Aber bitte mit Sahne“ (1976), und „Mit 66 Jahren“ (1977): vier Evergreens in vier aufeinander folgenden Jahren. Das dürfte zumindest hierzulande kaum jemand auf seinem Erfolgskonto verbuchen können.

Mal abgesehen davon, dass dies nur vier einer Vielzahl von Udo-Liedern sind, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, von „Merci, Cherie“ (1966) über „Zeig mir den Platz an der Sonne“ (1971) bis „Ich war noch niemals in New York“. Der Song war 1982 zunächst eine B-Seite, entwickelte den Kultstatus, den er heute hat, erst in den folgenden Jahren.

Hinzukommt, dass Jürgens alle diese und viele andere Texte auch Jahrzehnte später noch singen konnte, ohne sich dafür schämen zu müssen. Gut, es gab Ausrutscher: das abgeschmackte Schwulen-Klischee in „Vielen Dank für die Blumen“, das Pseudo-Schlüpfrige in „Es wird Nacht, Señorita“ (1968) oder auch „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ von 1965, als er selbst Ende 20 und ein Dutzend Jahre älter als die Angehimmelte war. Schwamm drüber.

Denn auch dieses Lied wird von diesem ungeheuren Strahlen getragen, das Udo Jürgens wie kaum ein anderer deutschsprachiger Sänger in seinen Gesang legen konnte, gerne unterstützt von Orchestern und Chören in großer Besetzung. Wenn er „Ich weiß, was ich will“ (1979) der Liebsten hinterherschmachtet, „Tausend Jahre Glück“ (1999) beschwört oder sicher ist: „Immer wieder geht die Sonne auf“ (1967) – jede Note verströmt ungebremsten Enthusiasmus, gefärbt von seinem warmen Timbre.

Doch wie immer bei der leichten Muse: Dahinter steckt intensivste Tüftelei. Da muss man sich nur einmal das leicht vertrackte Arrangement von „Immer wieder geht die Sonne auf“ anhören: Der gehackte Einsatz des Klaviers und die fast ins Ohr stechenden Streicher sind keine Alltagsware im damaligen Schlagergeschäft.

Und weil er selber fand, dass die von ihm komponierte, griechisch angehauchte Melodie auf keinen Fall von banalen Urlaubsbildern begleitet werden sollte, schickte er Michael Kunze mehrmals an den Schreibtisch zurück. Bis dieser mit der Geschichte über die traurigen Gastarbeiter, wie man die damals noch nannte, auftrumpfen konnte.

Schlager? Ja, auf jeden Fall, da muss man keine Genres wie Chanson bemühen, auch wenn in Jürgens Repertoire die leisen Töne, die nachdenklichen Worte immer eine wichtige Rolle spielten.

So war es Usus bei seinen Konzerten, dass die erste Hälfte den Liedern „mit Botschaft“ gehörte, und erst im zweiten Teil gefeiert wurde. Und die ernsthaften oder auch kritischen Inhalte zu Themen der Zeit präsentierte Jürgens, oftmals eingeleitet von langen Monologen, so überzeugend, dass das Publikum mehrheitlich davon überzeugt war, das jede Zeile aus seiner eigenen Feder stammte.

Weit gefehlt: Ein treuer Stamm von Textern – neben Kunze unter anderem Wolfgang Hofer, Thomas Christen oder Uli Heuel – erfasste die Essenz dessen, was Jürgens ausmachte: ein Mann, der singend etwas sagen wollte – auch wenn er 1967 behauptet hatte, „was ich dir sagen will, sagt mein Klavier“.

Am 21. Dezember soll in der ARD eine Show ausgestrahlt werden, in der bekannte Sängerinnen und Sänger Udo-Songs interpretieren. Im Anschluss steht eine neue TV-Dokumentation auf dem Programm. Schon vorher geht das Pepe Lienhard Orchester auf eine Tournee, bei der das Ensemble die Songs live spielt, während Udo Jürgens dazu auf der Videoleinwand zu sehen und zu hören ist. Am 22. November macht die Show Station in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf.

Aktueller Streich ist „Udo 90“ erschienen, wo auf zwei beziehungsweise fünf CDs Singles versammelt werden. Einziger Bonus: das bislang unveröffentlichte „Als ich fortging“, eine schöne Ballade, die Curt Cress ordentlich auf James Bond getrimmt hat.

Viele von Udo Jürgens Platten sind mittlerweile auf CD erschienen, mit der großen Ausnahme praktisch aller Alben aus den 70er Jahren. Es gibt allerdings die Ankündigung, dass zum zehnten Todestag im Dezember eine Box mit 50 Live- und Studioalben geplant ist.