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Truman CapoteMit dem tiefenscharfen Blick des Außenseiters

Lesezeit 6 Minuten
Truman Capote 1970 auf seinem Fahrrad in Palm Springs, Kalifornien.

Truman Capote 1970 auf seinem Fahrrad in Palm Springs, Kalifornien.

Die Journalistin Anuschka Roshani hat eine neue Biografie zu Truman Capote geschrieben, dessen Gesamtwerk sie in deutscher Übersetzung seit 2007 herausgibt.

Eine etwas bizarre ältere Frau reißt aus. Drangsaliert von der resoluten Schwester zieht sie es vor, in einem Baumhaus vor der Stadt zu leben. Das wird im Nu Schutzzone für weitere Aussteiger. Nicht unerreichbar, aber über den Köpfen der anderen, die sich mahnend zu Wort melden, bauen sie sich ihre eigene Welt.

Vor dem 100. Geburstag

In seinem zweiten Roman „Die Grasharfe“ erzählt Truman Capote von der freien Natur und der Befreiung, ohne die Freaks vorzuführen, die sich da gerade von der konventionellen Gesellschaft einer Kleinstadt in Alabama verabschieden. Konventionell wurde der in New Orleans geborene Autor, der am 30. September seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, eben nie.

Als ungewolltes Kind war er für die Mutter eher so etwas wie ein „zweiköpfiges Kalb“, wie er das desaströse Verhältnis immer wieder bezeichnete. Mutterseelenallein Rechtzeitig zum Geburtstag gibt nun die Journalistin Anuschka Roshani das Buch „Truboy. Mein Sommer mit Truman Capote“ heraus. Der Untertitel führt ein bisschen in die Irre, denn Roshani traf Capote nicht selbst, recherchiert vielmehr posthum bei den verbliebenen Zeitzeugen, darunter seinem Biografen Gerald Clarke, über den bereits 1984 in Los Angeles verstorbenen Autor.

Aber ihre Verehrung und Detailkenntnis macht das neue biografische Bild — rund 30 Publikationen zu Capote gibt es bereits — überaus lesenswert. Derzeit schreibt Roshani auch an ihrer Dissertation über den Autor. Ihr neues Buch gerät ihr trotz allem nicht akademisch, ist unterhaltsame Spurensuche und ein wunderbarer Schmöker, der einen tiefen Einblick in die Schrulligkeit Capotes gibt. Wie mit dem Zoom geht Roshani gleich zu Anfang zurück in die früheste Kindheit, in der sich die „Tiefenschärfe seines Außenseiterblicks“, so Roshani, früh herauskristallisiert.

Mutterseelenallein

Bewegend schildert sie sein Unglück, mutterseelenallein zu sein. Aber er findet einen Ausweg, indem er seine eigene Sprache, seinen unverkennbaren Ton findet, intensiv mit hinreißendem Rhythmus. Klein von Statur, ist er in den gut gewählten Worten überragend. In der Grundschule misst ein Wissenschaftlerteam einen außergewöhnlich hohen IQ bei ihm, daraufhin wird er von der Columbia University nach New York eingeladen. Am Schluss ergibt sich ein IQ von 215.

Er fühlt sich dem Talent verpflichtet, macht etwas daraus: „Ab seinem fünften Lebensjahr hat Truman immer ein winziges Wörterbuch, einen Bleistift und Zettel für Notizen in der Hosentasche“, schreibt Roshani. Und: „Ans Schreiben gerät er durchs Lesen, was er am liebsten mit Nelle in ihrem Baumhaus tut.“ Die Bücherliebe schweißt mit dem Nachbarsmädchen aus Alabama zusammen, der späteren Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Harper Lee (Wer die Nachtigall stört).

Capote, der als Truman Streckfus Persons in New Orleans zur Welt kommt und später den Namen des zweiten Ehemanns seiner Mutter annimmt, wird schon in jungen Jahren ein gefragter Autor – und eine Skandalfigur. Seine Affäre mit dem 24 Jahre älteren Literaturprofessor Newton Arvin erregt 1946 Aufsehen. Dieser gibt ihm wegweisende Bücher zu lesen, wenn auch Capote von früh an selbst einen untrüglichen Geschmack hat.

Persönliche Beobachtungen

Ein tiefer seelischer wie poetischer Fundus, aus dem er in seinen frühen Erzählungen als Jugendlicher schöpft, dürfte die Begegnung mit Sook, der entfernten, gut 50 Jahre älteren Cousine und Ersatzmutter des verstoßenen Kindes gewesen sein. Sie überschüttete ihn mit Liebe und war gleichsam literarische Vorlage für jene Dolly, die von der garstigen Schwester Reißaus nimmt. Auch in seiner „Weihnachts-Erinnerung“ taucht sie wieder auf, als sie zusammen mit dem Jungen Pekanüsse für Gebäck sammelt, das sie anschließend verschenken.

Roshani nimmt jede handschriftliche Notiz Capotes, jedes Fragment und jede Pappschachtel mit Fotos, Manuskripten oder Briefen noch einmal unter die Lupe. Ihren Interviewpartnern entlockt sie persönliche Beobachtungen. Fast übereinstimmend sprechen sie von ihrem längst verstorbenen Freund in der Gegenwart. Und Roshani deckt auf, welche Vorbilder seine literarischen Figuren haben, und was sie ihm bedeuteten: Von Cousine Sook gibt es eine gehäkelte Patchwork-Babydecke, die er sein Leben lang aufbewahrte und auf jede Reise mitnahm.

Der vergleichsweise kurzen Chronologie des Gelingens lässt sie schon ab Seite 47 eine Chronologie des Scheiterns folgen: Der kleine schwule Mann — er habe „nie ein Problem“ damit gehabt, homosexuell zu sein – wird mit der immer wieder kolportierten Fistelstimme zum Liebling der High Society. Berühmt macht ihn der internationale Erfolg mit „Breakfast at Tiffany’s“ (Frühstück bei Tiffany) — auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle der Holly Golightly.

Aber es ist nicht nur die Welt der Partygirls, über die er schreibt. Auch schwere Jungs fesseln ihn. In einem Fall sogar sechs Jahre lang: Mit seiner Jugendfreundin Harper Lee geht er nach Kansas, wo er die Morde an der Farmerfamilie Clutter in der Kleinstadt Holcomb recherchiert. Dieser Fall beschäftigt ihn intensiv bis ins kleinste Detail; aus dem Stoff entsteht der wahrheitsgemäße Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen – „In Cold Blood“ (Kaltblütig), wird 1966 zum Bestseller und wirbelt die Medienwelt tüchtig auf, was ihm den Ruhm einbringt, als Wegbereiter eines neuen Genres, des New Journalism zu gelten.

Riesenparty

Capote steht im Zenit seiner Karriere und richtet in New York eine Mega-Party, den legendären Black and White Ball im Plaza Hotel aus, zu dem er die 500 berühmtesten Persönlichkeiten der USA einlädt. Doch kreativ ist er anschließend ausgebrannt. 1972 tourt er mit den „Rolling Stones“ durch die USA und beginnt mit der Arbeit zum Roman „Erhörte Gebete“, die aber nicht recht in die Gänge kommt. „Sphinx ohne Geheimnis“ In Gesellschaften begeistert er weiterhin als brillanter Erzähler, ist aber auch ein Schandmaul – was ihm zum Verhängnis wird. Es kommt zum jähen Bruch mit dem Jetset.

In seiner Geschichte „La-Côte-Basque“, die das Magazin Esquire druckt, plaudert er etwas zu viel aus dem Nähkästchen die darin porträtierten Millionärswitwe Ann Woodward bringt sich um. Fortan wird er geschnitten. Die Geschichte war das erste Kapitel von „Erhörte Gebete“, der Roman bleibt aber ein Fragment. Wie in einer Detektivgeschichte geht Roshani dem Hörensagen nach, dass es in einem geheimen Schließfach mehr dazu gebe. Sie macht es dabei bis zum Schluss spannend. Capote wurde von seinen Freunden geschätzt, seine Alkohol- und Drogensucht machte es ihnen aber nicht immer leicht. Schwierig war die Freundschaft mit Andy Warhol, mit dem er regelmäßig im legendären Studio 45 anzutreffen war, der aber in Capotes Augen eine „Sphinx ohne Geheimnis“ war.

Nach dem Eklat und der Ächtung seitens der High Society verfiel Capote in Depressionen, arbeitete erfolglos an Drehbüchern, wurde alkohol- und drogenabhängig und versank in zahllosen Affären. Er erlitt Nervenzusammenbrüche und musste mehrfach ins Gefängnis. Einsam starb er am 25. August 1984 an einer Überdosis Tabletten in Los Angeles.

Die in Zürich lebende Journalistin Anuschka Roshani (Foto) gibt seit 2007 beim Verlag Kein & Aber, der von ihrem Ehemann Peter Haag geleitet wird, das Gesamtwerk von Truman Capote in deutscher Übersetzung heraus. Roshani und Haag stießen bei der Editionsarbeit in der New York Public Library auf noch unveröffentlichte Erzählungen in Capotes Nachlass und brachten sie heraus. Anuschka Roshani: „Truboy. Mein Sommer mit Truman Capote“. Kein & Aber, 341 S., 25 Euro.