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„Tristan und Isolde“-Premiere:Dirigent Bychkov enttäuscht, Regie löst Diskussionen aus

Lesezeit 4 Minuten
Bayreuther Festspiele 2024

Tristan und Isolde

2. Aufzug

von links nach rechts: Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Birger Radde (Melot), Andreas Schager (Tristan), Günther Groissböck (Marke), Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne)



Musikalische Leitung: Semyon Bychkov 

Regie: Thorleifur Örn Arnarsson  

Bühne: Vytautas Narbutas 

Kostüm: Sibylle Wallum

„“Das Bühnenbild des zweiten Aufzugs von Tristan und Isolde.

„Tristan und Isolde“ in Bayreuth: Camilla Nylund und Andreas Schager vom Publikum als neues Wagner-Traumpaar gefeiert.

Eine gute Stunde lang passiert nicht viel. Semyon Bychkov blättert brav Partiturseite um Partiturseite von Wagners „Tristan“ um. Seine Sicht auf Wagners „Tristan“ steckt so im zähen Klangbrei des Orchesters fest wie auf der Bühne Isolde in ihrem Brautkleid, das an einen gestutzten Vogel erinnert.

Dann schmettert Andreas Schager mit Urgewalt den Trinkspruch auf den vermeintlichen Todestrank: „Wohl kenn' ich Irlands Königin“. Man ist elektrisiert, es stellt sich Spannung ein, eine Ahnung von Leiden und Leidenschaft kommt auf.

Schneidig und schneidend

Aber der schneidig und bisweilen auch schneidend singende Schager ist zugleich auch eines der nicht geringen Probleme dieser Aufführung. Niemand hat die kräftezehrendste aller Tenorrollen in den letzten Jahren müheloser und strahlender gesungen.

Aber darin erschöpft sich Schagers naturburschenhafte Deutung. Musikalische Nachdenklichkeit interessiert ihn weniger, leise Stellen auch nicht. Und von einer intelligenten Textausdeutung wollen wir gar nicht erst sprechen.

Wenig rücksichtsvoll

Der existenzielle Schmerz des Leidens an der Liebe, zu dem der stimmlich viel schwerere Stephen Gould an guten Abenden vorstieß, bleibt Schager auch in der elften „Tristan“-Premiere seiner Karriere verschlossen. Ganz am Ende schepperte es an diesem Abend auch so gewaltig, dass man sich fragt, ob das wirklich so gesund ist, was Schager treibt. Klug ist es jedenfalls nicht, und rücksichtsvoll gegenüber seiner Bühnenpartnerin Camilla Nylund noch weniger.

Die Finnin ist ein typischer jugendlich-dramatischer Sopran, keine Hochdramatische. Das verleiht ihrer Isolde Frische. Lyrische Passagen wie am Beginn des zweiten Akts gelingen schön.

Nervosität bei der Premiere?

Die höhnische Ironie des ersten Akts bleibt ihr hingegen verschlossen, der Liebestod strömt nicht und wirkt eher buchstabiert. Das mag einer verständlichen Premierennervosität geschuldet sein. Die mangelnde Wortverständlichkeit rechtfertigt es nicht.

Das Premierenpublikum bejubelte Nylund und Schager als neues Wagner-Traumpaar. Zweifel müssen vorerst erlaubt bleiben.

Ungerechtes Buh für Bassisten

Nach dem zweiten Akt äußerte jemand lautstark und ungerecht Widerspruch gegen den schlank, aber auch forciert singenden Bassisten Günter Groissböck.

Der ruppig und provinziell singende Kurwenal (Olafur Sigurdarson) gefiel seltsamerweise den gleichen Connaisseuren, die mit schönen Momenten durch die Brangäne flackernde Christa Mayer auch. So verschieden sind die Geschmäcker.

Kühler Schlussapplaus für den Dirigenten

Einigkeit dürfte hingegen über den Dirigenten bestehen, bei dessen Erscheinen der Beifall abkühlte.

Bychkov begann das Vorspiel mit raumgreifenden, weiten Crescendi, die einen aufregend neuen Ansatz erhoffen ließen. Aber schon der Höhepunkt des Vorspiels blieb matt, der Klang breiig.

Zu konventioneller Klang

Dann begleitete der Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie die Sänger überraschend kapellmeisterlich, was in seinen Konzerten normalerweise nicht vorkommt.

Wie bei Schager fehlte Bychkovs Deutung die existenzielle Dimension und das Abgründige, für eine strukturell-nüchterne Deutung blieb die klangliche Seite viel zu konventionell.

Klagen über Akustik

In den Pausen waren vielfach Klagen über die Akustik zu hören. Aber es liegt keineswegs am versenkten Orchester und der Klangblende, wenn das Blech durchwegs zu weit entfernt wirkt und Tristans Schmerz im Orchester nicht schneidet.

Dem kurzfristig eingewechselten, viel weniger prominenten Markus Poschner gelang vor zwei Jahren auf Anhieb eine viel deutlichere, klarere Interpretation.

Zwei starke Bilder

Eine Inszenierung gab es auch, und von der ist hier nicht zufällig erst ganz zuletzt die Rede. Thorleifur Örn Arnarsson bietet zwei starke Bilder auf: Isolde, gefangen in ihrem mit Schlüsselworten aus dem Text versehen Brautkleid und das mit Kunst und Krempel aller Art gefüllte Schiffswrack des zweiten Akts.

Im dritten Teil war das Wrack demontiert und der Kram auf einen Haufen geschichtet. Müsste nicht, wenn es dem Regisseur auf die Last der Vorgeschichte ankäme, der Trödel in den ersten Akt verfrachtet werden? Und sollte in einem Bühnenbild (Vytautas Narbutas) nicht auch etwas passieren?

Nur Umarmungen, keine Erotik

Arnarsson ließ bei Tristan und Isolde den Text für sich sprechen. Erotisches ereignete sich jenseits einer Umarmung nicht. Melot stolzierte eitel herum, Marke wirkte komplett fertig.

Alle waren irgendwie am Ende und kaum am Gegenüber interessiert, was bei diesem Musikdrama keine neue Nachricht ist. Und das löst beim Zuschauen nicht einmal ein Achselzucken aus.

Die Geschichte wurde schon energischer erzählt

Die Schwärze und Verzweiflung dieser Oper über verhängnisvolles Begehren haben andere Regisseurinnen und Regisseure – Katharina Wagner eingeschlossen – auf dieser Bühne schon energischer erzählt. Und so liegt die Last der Vergangenheit, die den Regisseur nach eigener Aussage an den Figuren interessiert, auch knüppeldick über seiner Inszenierung.

Die Bayreuther Festspiele dauern bis zum 27. August. Infos über freie Karten unter bayreuther-festspiele.de. Ein Stream auf www.br-klassik.de, 3sat zeigt am heutigen Samstag um 20.15 Uhr die Aufzeichnung der Premiere.