Tief traurige GestaltenIngrid Lausunds „Tür auf, Tür zu“ im Theater am Sachsenring
Köln – Schlimm wird es später. „Ouvertüre!“ verkündet zunächst der Chor. Aus Spargründen besteht er nur aus einer Person (Richard Hucke) und führt fortan durch das Stück. Es tritt auf eine sprechende Tür (Jonas Herkenhoff): „Die Tür geht auf, die Tür geht zu.“ Und wieder auf und wieder zu, während sich drinnen Leute begegnen und sagen, was man so sagt: „Ach, hallo, guten Abend, geht es gut?“
Und dann passiert’s. „1. Akt“, meldet der Chor, denn man ist im Theater – doch was sich jetzt abspielt, geschieht haargenau so im echten Leben. „Tür auf, Tür zu“ heißt das Stück von Ingrid Lausund, das Hausherr Joe Knipp im Theater am Sachsenring inszeniert. Und heißt es für Anneliz, die Frau im schicken grünen Kleid (Bettina Scholmann), die nur mal kurz draußen war.
Anneliz kommt nicht mehr rein. „Die Tür ist zu“, sagt die Tür immerzu; jedenfalls zu ihr, denn andere dürfen durchaus rein. Soll das ein Scherz auf ihre Kosten sein, ist irgendwem ein Fehler unterlaufen oder das hier etwa eine bitterernste „Machtdemonstration von oben“? Anneliz gerät in leise Panik: „Ich gehöre dazu! Wer bin ich denn?“
Mit ihrem kleinen Dreipersonenstück, das quasi ohne Ausstattung auskommt (Kostüme Hannelore Honnen), ist Ingrid Lausund 2011 ein Drama von Beckettschem Format gelungen, das Joe Knipp und das großartige Ensembletrio mit präzisem Timing auf der Bühne zum Schillern bringen. Haarfein ziseliert Bettina Scholmann Anneliz’ eskalierende Gefühlslagen zwischen Angst, Wut, Unsicherheit und Verzweiflung. Denn wie sehr sie sich auch anstrengt, wütetet, gurrt und intrigiert, es gibt keine Erklärung, keine Erlösung und kein Dabei-Sein mehr: „Die Tür ist zu“.
Wie Becketts Antihelden wirken Anneliz und ein später Leidensgenosse (Hucke herrlich kläglich) oft absurd komisch und sind doch tief traurige Gestalten. „Auf keinen Fall, um keinen Preis sollte man irgendjemand in den Arsch kriechen“, hebt Anneliz an, um genau das dann moralisch biegsam bis zur Schmerzgrenze vor sich selbst als „flexible Problemlösungsstrategie“ zu verteidigen.
Dass Anneliz ihr Ehrgefühl nicht ganz verliert, zeigt ihr gelegentlich störrischer Trotz. Doch wie alle modernen Getriebenen meint sie in einem perfiden Selbstoptimierungszwang „rennen, rennen, rennen“ zu müssen und ist doch in Wahrheit einer kafkaesken Willkür des Ein- oder Ausgeschlossenseins ausgeliefert.Die Tür bleibt zu. Aber Anneliz vielleicht am Ende doch auch ein kleines bisschen mehr bei sich.
65 Minuten. Nächste Vorstellungen am 9.3. sowie 25. bis 27. April, jeweils 20 Uhr. Sachsenring 3, Karten-Tel. 0221/31 50 15