Das Theater im Bauturm startet in seine 40. Spielzeit. Auf dem Programm: „Von Käfern und Menschen“.
Premiere im Theater im BauturmWirken Käfer gegen das Vergessen?
„Da ist wieder einer beigesetzt worden!“, freut sich Wilhelm. Der vor etwa 200 Jahren beim Kampf gegen Napoleon gefallene preußische Soldat und sein Freund, der Ostgote Otto (gestorben zur Zeit der Völkerwanderung um das Jahr 400) bekommen Gesellschaft.
Musiklehrerin Barbara hat gerade bei einem Verkehrsunfall das Zeitliche gesegnet und muss zu ihrem Schrecken feststellen, dass auf den Tod weder Himmel noch Hölle, sondern einfach nur das braune Erdreich folgt.
„Von Käfern und Menschen“ heißt das Stück, das zum Beginn der 40. Jubiläumsspielzeit des Theaters im Bauturm nun seine Premiere feierte. Passend zur anstehenden Halloween-Saison ist das Werk von Clemens Mägde in der Inszenierung von „Orestie“-Regisseurin Kathrin Mayr auf den ersten Blick recht morbide.
„Seid ihr Zombies?“, fragt Barbara (Fiona Metscher) ihre beiden – in unterschiedlichen Stadien der Verwesung befindlichen – Grab-Nachbarn verunsichert. „Nein, wir sind ja nicht hirntot“, gibt Wilhelm (Mario Neumann) lakonisch zurück.
Käfern knabbern Leichen an
Gemeinsam mit Otto (Henning Nierstenhöfer) erklärt er Barbara, wie es so läuft im Jenseits: Die Toten müssen zwar akzeptieren, dass sich die Welt auch ohne sie weiterdreht, doch sie können immer noch verfolgen, was im Reich der Lebenden geschieht. Das funktioniert mittels der titelgebenden Käfer, die die Körper von Bestatteten anknabbern und dadurch ihr Wissen und ihre Erfahrungen, aber auch deren Persönlichkeiten absorbieren.
Essen die „lebenden“ Toten dann wiederum die Käfer, überträgt sich das Wissen auf sie. Dadurch haben Wilhelm und Otto unter anderem „von der Mondlandung, Künstlicher Intelligenz, Markus Söder und der elektrischen Zahnbürste“ erfahren. Doch Vorsicht: Wenn man zu viele Käfer auf einmal konsumiert, nehmen die Persönlichkeiten der Verstorbenen die Überhand, und der Essende büßt die eigene Identität ein.
Der „Memento Mori“-Gedanke steht bei dem Stück klar im Vordergrund, doch „Von Käfern und Menschen“ ist alles andere als ein reines (und am Ende auch blutiges) Gruselspektakel. Vielmehr wirft es Fragen zu Erinnerung und Vergessen auf: Woran wollen wir uns als Gesellschaft und Individuen erinnern, was verdrängen wir lieber? Welche Erinnerungen sind schützenswert, welche nicht? Anhand welcher Quellen oder Objekte erinnert man sich am besten?
Interviews mit Experten
Dazu hat das Theaterteam Interviews mit Expertinnen und Experten geführt – darunter eine Bestatterin, ein Archäologe und ein Spurenleser. Ausschnitte aus den Gesprächen werden zwischendurch immer wieder auf die braunen Stoffbahnen projiziert, die das (Erd-)Reich der Toten darstellen.
So entsteht eine emotionale Montage über den Kampf gegen das Vergessen: das Vergessen der Einzelschicksale im Schatten von geschichtlichen Großereignissen, und der Spuren, die Menschen im Leben ihrer Lieben hinterlassen.
100 Minuten ohne Pause, wieder am 23. und 24.9, 14. und 15.10., verschiedene Uhrzeiten. Aachener Str. 24-26, Karten-Tel.: 0221/52 42 42.