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Großer Theater- SpaßDarum ist „Der Gott des Gemetzels“ im Schauspiel Köln so lustig

Lesezeit 3 Minuten
Ein Szenen aus „Der Gott des Gemetzels“
von Yasmina Reza.

Sabine Waibel sowie Alexander Angeletta (M.) und Jörg Ratjen in „Der Gott des Gemetzels“.

„Der Gott des Gemetzels “erzählt von einem Treffen zweier Ehepaare, das über die Grenzen des guten Geschmacks hinweg eskaliert. Der junge Regisseur Tristan Linder bringt das Stück mit Schmackes und Slapstick auf die Bühne des Depot 1.

Was für ein Blick! Gerade erst hat Annette ihren Mageninhalt großflächig im Wohnzimmer von Véronique und Michel verteilt, und ihre Augen sagen: Das war pure Absicht! Und da sitzt Sabine Waibel als Annette inmitten des Chaos, das sie angerichtet hat, wie ein ungezogenes Kind, das zufrieden mit sich ist, denn es hat es allen mal richtig gezeigt, ohne Rücksicht auf Verluste.

Allmählich sehe ich die Dinge mit einer angenehmen Heiterkeit.
Annette

Dieser Moment ist der Wendepunkt in Yasmina Rezas Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“, das jetzt in der Regie von Tristan Linder Premiere im Depot 1 des Kölner Schauspiels feierte. Bis hierher erzählte Reza von zwei Ehepaaren, die sich treffen, nachdem sich ihre Söhne gestritten und geprügelt haben und einem Kind nun zwei Zähne fehlen. Zunächst versucht man zivilisiert, mit der unangenehmen Situation umzugehen.

Muss ich mir dieses alberne Geschwätz anhören?
Véronique

Doch nach und nach brechen die Persönlichkeiten durch den Firnis der gesellschaftlichen Konventionen: Alain (Jörg Ratjen) ist ein Anwalt, der gewohnt ist, sich, wenn nötig, auch mit Winkelzügen und üblen Tricks durchzusetzen, und der seine Frau (Sabine Waibel) zu deren Missfallen zum schicken Weibchen degradiert. Bei Véronique (Lola Klamroth) und Michel (Alexander Angeletta) hat sie die gutmenschlichen Hosen an, wogegen er sich hin und wieder zur Wehr zu setzen versucht.

Zwei Paare, die in der Zweisamkeit lieber die Faust in der Tasche gemacht haben, erreichen hier den Punkt, an dem alte Rechnungen beglichen und neue ausgefertigt werden. Als dann auch noch Alkohol großzügig ins Spiel kommt, bleibt kein Stein auf dem anderen – und im Publikum kaum ein Auge trocken.

Schon zuvor hatte Regisseur Tristan Linder dem Ensemble scheinbar Regieanweisungen gegeben, die an krude Aufgaben für Gameshowkandidaten erinnern: So soll etwa Angeletta Butterkuchenstücke aus einer Plastiktüte holen – muss aber dabei einen Tortenheber benutzen. Keine Überraschung, dass das weder dem Gebäck, noch dem Fußboden guttut.

Bloß weg hier, Alain. Diese Leute sind Ungeheuer!
Annette

Und dadurch, dass Linder die Handlung auf einen Balkon (Bühne: Sebastian Bolz) verlegt, setzt er die Viererbande Wetterumschwüngen von Hitze bis Schnee aus, die nicht mal der Klimawandel rechtfertigt, sondern einzig und allein der Mut zur Albernheit. Und das Ensemble feiert dieses Fest der Abstrusitäten fröhlich und ohne zu zögern mit.

Die Feierwütigste in diesem Partyvolk ist, man muss es einfach sagen, Sabine Waibel. Die Rolle der zunächst damenhaften, später sturzbetrunkenen Annette ist natürlich die dankbarste von allen. Aber sie reichert ihren Auftritt mit so vielen kleinen Gesten und Nuancen an, dass man das Stück noch einmal gucken müsste, um sich nur auf sie konzentrieren zu können. Und den steigenden Alkoholpegel verkörpert sie so meisterlich, dass man wirklich glaubt, es wäre echter Rum im Spiel.

Ein Schlückchen Schnaps, und zack! schon kommt das wahre Gesicht zum Vorschein.
Michel

So wird aus einer Notlösung – Linders „Gott des Gemetzels“ ersetzte kurzfristig Pınar Karabuluts auf die nächste Spielzeit geschobenen „Prozess“ – ein echter Knaller. Der junge Regisseur ist klug genug, sich auf seine Darsteller zu verlassen – und auf ein brillant geschriebenes Stück, das in seinen wesentlichen Punkten auch 17 Jahre nach der Uraufführung praktisch keinen Staub angesetzt hat. Noch immer erkennt das Publikum die Figuren aus dem persönlichen Alltag – und mit genügend Selbsterkenntnis auch vom morgendlichen Blick in den Spiegel.

Berechtigter Premieren-Jubel für alle Beteiligten: Für das Ensemble genauso wie für Regisseur Tristan Linder und sein Team. Hätte man Sabine Waibel eine Solo-Verbeugung gegönnt, Bravi wären ihr gewiss gewesen.

80 Minuten , wieder am 10.2. (ausverkauft), 2., 11., 28. und 29.3., jeweils 19.30 Uhr, sowie 5.3., 16 Uhr.