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Soul Pop neu interpretiertSwifts neues Album bietet tiefe Einblicke in ihre Seele und ihr Talent

Lesezeit 6 Minuten
Taylor Swift steht auf der Bühne.

Taylor Swift veröffentlicht großes Herzschmerz-Doppelalbum

Swift überrascht mit ihrem elften Album „The Tortured Poets Department“, indem sie Intimfolk und Retro-Soft-Electropop vereint und selbst schwierige Lebensphasen in musikalisch ausgefeilte Stücke verwandelt.

Sie ist eh schon der größte Popstar aller Zeiten. Und jetzt veröffentlicht Taylor Swift auch noch ein neues Album. Der Clou: „The Tortured Poets Department“ ist wundervoll gelungen und öffnet das Tor zu Taylors Seele weit mehr als nur einen Spalt breit.

Taylor Swift steht auf dem Gipfel ihres Ruhms. Viel höher geht es in diesem Beruf nicht mehr, vielleicht winkt irgendwann noch der Nobelpreis. Sie ist ultrareich an Erfolg, Einfluss, Relevanz und Mammon. Wenn sie will und sich öffentlich auf die Seite eines Kandidaten schlägt, kann sie möglicherweise die US-Wahl entscheiden. Ihre „The Eras Tour“ ist die erfolgreichste Konzertreise aller Zeiten und ein ökonomischer Faktor, der sogar von Notenbanken erwähnt wird. Und in Heidelberg veranstaltet eine evangelische Gemeinde jetzt Gottesdienste mit ihren Liedern. Taylor Swift hätte es sich also leicht machen und in dieser göttinnengleichen Allmachtsituation ein krass knalliges Pop-Album voll mit gutgelaunten Biergarten-Bangern und ein paar monumentalen Kraftstrotz-Balladen rausbringen können.

Doch sie hat sich anders entschieden, und das ist sehr gut so. „The Tortured Poets Department“, Swifts fünftes Album innerhalb von fünf Jahren (die Neuaufnahmen der frühen Platten nicht mitgerechnet) und das elfte insgesamt, ist keine Songsammlung, die einem entgegenspringt und „Hier bin ich“ brüllt. Sondern eine außergewöhnlich reife, tiefe und bis in die kleinsten Details durchdachte seelische Selbstentkleidung einer Künstlerin, die offenbar in ihrer Arbeit weder Angst noch Risikoscheu kennt. Die vielmehr bereitwillig die eigene Schmerzgrenze in manchen dieser sechzehn (nimmt man die parallele Bonussongs-Veröffentlichung „The Anthology“ dazu, sind es gar 31) Lieder aufs Heftigste aushebelt. Um am Ende zwar verstört und versehrt, doch gestärkt und definitiv noch am Leben aus den Dramen emporzusteigen.

Melodische wie effektive Feinfühligkeit

Stilistisch erobert Swift kein Neuland. Mitgeschrieben und -produziert haben abermals ihre beiden Kreativkumpel Jack Antonoff und Aaron Dessner. Es geht etwas zünftiger zu als auf dem verträumten Indiepopvorgänger „Midnights“, nicht ganz so pur-poppig wie auf „1989“, sie hat den Intimfolk ihres 2020er Doppelschlags „Folklore“ und „Evermore“ ein bisschen praller und mit großflächigem Synthesizer-Einsatz zur Stadiongröße aufgepustet, selbst der Country-Ursprung schimmert gelegentlich durch, etwa, wenn in „I Can Fix Him (No Really I Can) plötzlich eine Slide-Gitarre des Weges kommt. Prägender jedoch ist der subtile wie häufig in Melancholie verankerte, von Produktionen der 80er und 90er Jahre mehr als nur angehauchte, Retro-Soft-Electropop, der besonders schön in „Fortnight“ - inklusive eines zart-dezenten Post Malone – oder dem fünf Minuten langen Titelsong zum Tragen kommt. Dass nach dem ersten und zweiten Hören keine unmittelbaren Superhits auszuloten sind, mag ein voreiliger Schluss sein. Auch „Anti-Hero“ vom vorherigen Album hat eine Weile gebraucht, bevor es ins kollektive Mitsinggedächtnis der Welt einsickerte. Taylors melodische wie effektive Feinfühligkeit ist hier jedenfalls wieder von unvergleichlicher Bärenstärke.

Das Cover vom neuen Album „The Tortured Poets Department“

Das Cover vom neuen Album „The Tortured Poets Department“

Sie selbst hat ihrem Album via Instagram einen kleinen Beipackzettel mitgegeben. „Diese Autorin“, so schreibt Swift, „ist der festen Überzeugung, dass unsere Tränen in Form von Tinte auf einem Blatt heilig werden. Wenn wir unsere traurigste Geschichte ausgesprochen haben, können wir uns von ihnen befreien. Und dann bleibt nur noch die gequälte Poesie zurück.“ Inhaltlich findet „The Tortured Poets Department“ vorwiegend im Genre des Trennungsalbums statt. Als Taylor Swift das Album vor zwei Monaten ankündigte, sagte sie, es sei ihr Rettungsanker gewesen und eine Erinnerung daran, warum Songschreiben für sie so wichtig ist.

Natürlich besitzt Taylor Swift die Lizenz der Geschichtenerzählerin, und manche ihrer Dramen dürften eher fiktionalen Charakters sein. Doch das Persönliche kommt gewiss nicht zu kurz. Taylor Swift war bis 2023 sechs Jahre lang mit dem englischen Schauspieler Joe Alwyn zusammen, diese Beziehung war ihre erste, die den Beinamen „erwachsen“ verdient, und ihr nichtglückliches Ende hat Wunden gerissen. „So Long, London“ ist einer der explizitesten Goodbye-Joe-Songs, Swift singt „Du hast geschworen, du liebst mich, doch wo waren die Zeichen? Ich starb auf dem Altar, auf den Beweis wartend.“ Und dann fragt sie ihn noch, wie tief er denn meine, dass sie für ihn sinken würde. Kann gut sein, dass Taylor Swift noch nie so verletzt und verletzlich klang wie in diesem Stück, dass musikalisch sanft anschwellt aber vor dem Höhepunkt immer wieder abbricht. Die fünf Phasen einer Trennung nach Elisabeth Kübler-Ross, also „Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz“, sie alle finden sich in diesen Songs. Auf „Down Bad“ etwa denkt die tiefgetroffene Protagonistin darüber nach, einfach im Bett zu bleiben, steht dann doch auf und heult im Gym. Im überdurchschnittlichen dynamischen „Florida!!!“, einem Duett mit Florence + The Machine, reflektiert Swift ihre Situation einer Wieder-Single-Frau in den Dreißigern mit der köstlichen Zeile „My friends all smell of weed or little babies“.

Deutlich witziger fällt derweil die – mutmaßliche - Abrechnung mit Kurzzeit-Lover Matty Healy, dem Sänger der Band The 1975 auf. Der Typ, in der Öffentlichkeit ohnehin unter Dödelverdacht stehend, kann nach dieser Platte einpacken. „The Smallest Man Who Ever Lived“ trägt den Zorn schon im Titel und die Poetin fragt „Wer zur Hölle war denn dieser Kerl?“ Auch „My Boy Only Breaks His Favorite Toys“ stellt die emotionale Unreife des Kindmannes zur Schau. Die Überleitung zur aktuellen Modernes-Märchen-Liebe zu Footballprofi Travis Kelce besorgt dann das vorletzte Stück „The Alchemy“, das gespickt ist mit Sportmetaphern.

Neue Songs treten Verblödung entgegen

Ein erfreulicher Nebeneffekt von Swifts neuen Songs: Sie tritt der zunehmenden Verblödung der Kids durch immer flachere Popsongs vehement und mit Erfolg entgegen. Wo hört man denn sonst Worte wie „petulance“ (Gereiztheit) oder „rivulets“ (kleine Bächlein), bei denen selbst des Englischen Kundige zum Übersetzungsprogramm greifen? Oder schlaue Zeilen wie „Your’re not Dylan Thomas, I’m not Patti Smith/ This ain’t the Chelsea Hotel, we’re modern idiots.“ Wer Lust hat, kann hier richtig was lernen.

Schlussendlich beleuchtet Taylor Swift auf diesem Album auch ihre eigene Rolle als Überfigur der Popkultur. So groß wie sie waren ja selbst Abba in den Siebzigern oder Madonna und Michael Jackson in den Achtzigern nicht. Und Swift kommentiert das Monster, das sie selbst erschaffen hat, durchaus mit Unbehagen. „But Daddy I Love Him“ kritisiert, mit welcher Heftigkeit die Menschen jeden ihrer Schritte kommentieren, sie deutet mehrfach an, in einer Art vergoldetem Gefängnis zu leben, und in „I Can Do With A Broken Heart“ sagt sie, vergessen zu haben, dass das alles hier auch mal Spaß gemacht hat. Taylor Swift weiß, und vielleicht hofft sie es gar, dass ihre monokulturelle Rolle im Unterhaltungsgeschäft endlich ist. Schon in der immer noch sehenswerten Netflix-Doku „Miss Americana“ aus dem Jahr 2020 blickt sie kritisch auf den abnehmenden Marktwert einer Frau im Pop, wenn diese die 35 überschritten hat. Swift ist jetzt 34. Und im letzten Song „Clara Bow“ erzählt sie die Geschichte des gleichnamigen Stummfilmstars aus den 1920er Jahren, für den die Bezeichnung „It Girl“ erfunden wurde. Irgendwann geriet die Ikone in Vergessenheit. Und sie blickt, mit einer ordentlichen Portion Selbstironie, in eine Zukunft, in der es über ihre Nachfolgerin heißen wird: „You look like Taylor Swift in this light/ We’re loving it/ You’ve got edge/ She never did.“