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Stadt MonheimOrchester aus Kiew unter Vertrag genommen

Lesezeit 6 Minuten
Das Kyiv Symphony Orchestra bei einem Auftritt in Wien.

Das Kyiv Symphony Orchestra bei einem Auftritt in Wien.

Die kleine Stadt Monheim zwischen Düsseldorf und Leverkusen gibt 74 Musikern aus Kiew einen Job.

Es ist die erste Orchesterprobe seit Juni und für die 74 Musikerinnen und Musiker des Kyiv Symphony Orchestra war es ein langer Tag auf dem Amt: neue Wohnung, neuer Job, alles auf einmal und ganz schnell. „Wir sind seit 7.30 Uhr auf den Beinen. Die wollten bei der Anmeldung alles wissen“, sagt die Violinistin Tetiana Martyniuk-Bahrii.

Picknick-Konzert am Donnerstag

Trotzdem kommt das Orchester am Abend noch zu einer Leseprobe von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in Bearbeitung von Max Richter zusammen. Man groovt sich ein in der Aula, der derzeit größten Spielstätte der Monheimer Kulturwerke GmbH, für die kleine Bühne mit Podesten erweitert wurde. Maximal 650 Zuhörer haben hier Platz.

Zum Kennenlernen lädt das Orchester daher zum Picknick-Konzert am 15. August auf die große Bürgerwiese. 800 Karten wurden schon verkauft. Das kleine, 45 000 Einwohner zählende Städtchen zwischen Düsseldorf und Leverkusen hat eine Menge Klimmzüge unternommen, um den Musikern aus Kiew, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ohne eigenes Konzerthaus sind und seither Gastauftritte in der ganzen Welt haben, ein Zuhause zu geben.

„Nicht als Bittsteller “, wie Martin Witkowski, Intendant und Geschäftsführer der Kulturwerke, betont. Das Orchester hat eine Botschaft: Die Kultur der Ukraine, die Musik ihrer Komponisten dem Publikum ins Bewusstsein zu bringen. Auf dem Programm des Picknick-Konzerts steht daher auch Levko Revutskys zweite Sinfonie. „Wir müssen unsere Musik populär machen. Das ist alles, was wir tun können, um unserem Land zu helfen. Aber es ist vielleicht für einige Menschen mittlerweile schwierig geworden, sich an das Leiden anderer zu erinnern. Es ist wichtig, dass niemand vergisst, dass Krieg in der Ukraine herrscht“, sagt Martyniuk-Bahrii.

Ihre Kollegin, die Bratschistin Bodana Kozyrska, versteht das Musizieren als „kleine Schritte in Richtung Sieg“. Aufrichtigkeit und Menschlichkeit bewegten sie. Aber auch die grausamen Bilder von ihrem Zuhause in der Ukraine, in der ihre Familie lebt. Einige Musiker haben ihre Familie mitgebracht. Am ersten Augustwochenende war der Umzug vom thüringischen Gera, wo das Orchester nach Kriegsbeginn untergekommen war — wobei am Anfang noch niemand absehen konnte, dass der Krieg so lange dauern würde. In Gera erhielten alle Musiker Bürgergeld, es kam zu Spannungen.

In Kulturwerke eingegliedert

Die Zukunftsperspektiven der Musiker verdüsterten sich, als die Jobagentur anklopfte, Umschulungen, neue Arbeitsfelder anregte. Einige verließen das Orchester. In der Krise gab es nach Bericht der Thüringer Allgemeinen zudem Spannungen mit dem Intendanten Oleksandr Zaitsev, der dem Chefdirigenten Luigi Gaggero kündigte. Künstlerisch ist das Orchester seither ohne Führung.

Ernüchterung machte sich in Gera breit. Der MDR berichtete von zerstochenen Autoreifen. Wie das Polit-Magazin Kontraste recherchierte, finden in der Hochschulstadt im Osten Thüringens regelmäßig Aufmärsche eines Neonazis statt — mit Unterstützung aus der örtlichen AfD. Fackeln, Bengalos und Feuerwerk seien Bestandteil der Kundgebungen. Nachdem Witkowski, der vormals Orchesterdirektor der Staatskapelle Weimar sowie langjähriger Leiter des Betriebsbüros der Düsseldorfer Symphoniker war, auf die Situation des Kiewer Orchesters in Gera aufmerksam geworden war, unterbreitete er Bürgermeister Daniel Zimmermann seine Idee, das Orchester an den Rhein zu holen.

„Wir haben eigentlich gar nicht lange gesprochen als klar war, dass das Orchester in Gera nicht bleiben kann“, so Zimmermann. Der Stadtrat stehe hinter der Entscheidung. „Das ist auch bei der Opposition auf einen positiven Nährboden gefallen“, sagt Witkowski. Im Einvernehmen mit Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die 2022 auch die Bleibe in Gera mitorganisierte, kam man überein, das Orchester den Monheimer Kulturwerken einzugliedern. Doch sollten die Wurzeln des Ensembles in die Ukraine nicht gekappt werden, vielmehr bleibt es als Institution nach ukrainischem Recht in Kiew verortet.

Zwei Reisebusse, fünf Sattelschlepper

Am ersten Augustwochenende war der Umzug an den Rhein: „Wir hatten zwei Reisebusse, mit den Orchestermusikern sowie mit Oma, Enkel, Hund und Katze. Und wir brauchten fünf Sattelzüge“, sagt Witkowski. Im Rheinland fühlen sich die Musiker gut aufgenommen. „Wir spielen Robert Schumanns Rheinische“, sagt Martyniuk-Bahrii. Monheim habe ihr bei der Ankunft spontan gut gefallen. Die Kulturwerke haben das Orchester also quasi aus dem Stand engagiert, bezahlt nach dem Tarif für B-Orchester. „Im Moment ist die Stadt jetzt erst einmal komplett in Vorleistung gegangen. Aber wir hoffen schon, dass wir auch einmal Landes- oder Bundesmittel und vielleicht auch Geld aus Stiftungen oder Sponsoring erhalten“, sagt Bürgermeister Zimmermann.

Man habe die Arbeitsverträge mit allen Orchestermitgliedern erst einmal auf zwölf Monate befristet. „Das ist jetzt das Risiko, das wir auch voll tragen, gegebenenfalls die gesamten Kosten zu tragen, wenn sich keine Unterstützung findet. Für das zweite und dritte Jahr wäre es aber schon wichtig, dass wir dann eine Kofinanzierung haben“, so Zimmermann. Martin Witkowski steht während der Orchesterprobe hinter der Aula, um im Gespräch die Musiker nicht zu stören – zufälligerweise vor einem Piktogramm mit dem Zeichen für die Sammelstelle. Es kann symbolisch gesehen werden für den Ort, an dem sich Menschen außerhalb einer Gefahrenzone einfinden.

Und genau das ist es, was Witkowski derzeit macht: Er nutzt die Infrastruktur der Stadt mit der Kommunalen Wohnungsgesellschaft, die im Neubaugebiet Baumberg ausreichend Wohnraum geschaffen hat. Die Kita ist kostenlos und 60 Prozent der Grundschüler lernen ein Instrument bei der Kunst- und Musikschule, jede Grundschule hat ein eignes Orchester. Es soll Kooperationen mit den Musikern aus Kiew geben. Das Orchester in Residence dürfte aber für beide Seiten ein Gewinn sein: Mit Spannung wird die Eröffnung der „Kulturaffinerie K714“ in einem ehemaligen Shell-Fabrikgebäude erwartet. Dort soll Platz für bis zu 4800 Besuchern sein. Die geschätzten Baukosten für die neue Veranstaltungshalle belaufen sich laut aktueller Planung auf 126,5 Millionen Euro. Ende 2025 soll die „Kulturraffinerie“ in Betrieb gehen.

„Und wir haben ja ein eigenes Musikfestival, die Monheim-Triennale für zeitgenössische, komponierte und improvisierte Musik“, sagt Zimmermann. „Und da wollen wir das Orchester auch gerne einbinden.“ Die Stimmung der Orchestermusiker ist ausgelassen und angesichts der belastenden Ungewissheit der vergangenen Monate könnte Monheim eine Art Zäsur für sie bedeuten.

Gastkonzerte geplant

„Mir gegenüber war es nie ein Thema, dass die Konflikte, die es gab, nicht geklärt sind, dass jetzt noch Brände gelöscht werden müssen“, sagt Witkowski. Auch nach Ansicht Zimmermanns hat sich die Situation beruhigt: „Einige Musiker sind schon wieder in das Orchester zurückgekehrt.“ Und Witkowski plant bereits zahlreiche Gastkonzerte wie zum Beispiel in Weimar mit Dirigentin Oksana Lyniv, die vor drei Jahren als erste Frau am Pult in Bayreuth Schlagzeilen machte. Auch sie ist eine musikalische Botschafterin der Ukraine.

Seit der Gründung 1979 setzt sich das Kyiv Symphony Orchestra für das kulturelle Erbe der Ukraine ein. Am 15. August spielt es auf der Bürgerwiese in Monheim-Baumberg ein Picknick-Konzert zum Kennenlernen. Die Besucher sind eingeladen, Getränke und Speisen mitzubringen, es gibt auch Catering. Tickets im Vorverkauf zu 10 Euro über die Homepage. www.monheimer-kulturwerke.de