Auch große Komponisten wie Brahms hatten ihre schwachen Momente. Nicht alle Werke, die Starpianist Igor Levit beim Klavierabend in der Philharmonie spielte, waren eine Offenbarung.
Igor Levit in der Kölner PhilharmonieRaritäten von Brahms, Wagner und Liszt auf dem Programm
Igor Levit – Klavierstar, Medienstar. Es ist nicht leicht, das vor Ort auseinander zu halten. Das Publikum interessiert sich zweifellos für beide Seiten, für den begnadeten Musiker am Flügel wie den alerten Twitterer am Smartphone, die Philharmonie ist beinahe ausverkauft.
In stiller Versenkung
Der Blick ins Programmheft: auch da wird’s mit Levit nicht langweilig. Brahms, Wagner und Liszt, die Namen bekannt, die Werke jedoch echte Raritäten. Wer weiß schon, dass Brahms kurz vor seinem Tod eine Reihe von Choralvorspielen komponiert und Ferruccio Busoni die später von der Orgel aufs Klavier übertragen hat?
Liszts atemberaubende h-Moll-Sonate, dieses Zauberstück der Doppeldeutigkeit, an strenger Form und berstender Ekstase – die meisten Kollegen machen einen Bogen drum. Auch kein Gassenhauer: das Tristan-Vorspiel von Wagner. Die „Variationen über ein Volkslied“ vom US-Jazzer Fred Hersch fallen sowieso unter „ferner liefen…“.
Nun denn, Ohren auf. Und gleich ein Aha-Erlebnis beim späten Brahms. Der Alte, nie ein Freund von Schnickschnack, bietet kein Fleisch mehr, nur noch Knochen. Und Levit zelebriert den wie eine kostbare Reliquie, in stiller Versenkung, frei von aller irdischen Hast.
Ins Unterhaltungsgenre
Man atmet erst wieder durch, als Levit sich mit Hersch einen Ausflug ins Unterhaltungsgenre gönnt: Volkslieder variieren und romantischen Tastenzauber machen rund um ein schlichtes Thema – herrje, da ist jemand aber wirklich spät dran.
Andere Baustelle: Tristan-Vorspiel. Hier verpufft Levits Magie der Kontemplation. Die stark überdehnten Außenteile zerreißen und im Hauptteil verrutscht die Balance der Hände, die Rechte kann das Funkeln ihrer Läufe nicht weit genug absetzen von den mächtigen Bässen, Levit muss drücken. Das wird später auch zur einzig nennenswerte Schwachstelle im Liszt: Links kommt zu viel, und wenn der Diskant einmal der Held sein will, fehlt ihm der Wumms.
Nun gut, es gibt Schlimmeres. Beziehungsweise: Viel Besseres! Denn das Geheimnis dieser Sonate, Levit versteht es und bewahrt es: Wie um Himmelswillen hält das alles zusammen über eine halbe Stunde? Und was ist das überhaupt: Ein einziger Satz, sind es drei oder vier oder ist’s am Ende gar keine Sonate, sondern eine rauschhafte Fantasie? Levit entschärft nicht, spitzt zu, riskiert Extreme, sinnlichen Rausch und sinnarme Leere. Der Laden tobt, Levit spendiert einen Beethoven.