Publikum und Kritik feiern sie. Dennoch sieht sich Schauspielerin Stefanie Reinsperger wegen ihres Körpergewichts immer wieder Angriffen ausgesetzt – in den sozialen Medien, aber auch auf der Straße. Mit Daniel Benedict sprach sie vor ihrem nächsten „Tatort“-Auftritt.
Interview mit Schauspielerin Stefanie Reinsperger„Nach dem „Tatort“ ist mein Instagram-Postfach voller Beleidigungen“
Die FAZ nennt Sie „die größte Kraftschauspielerin, die wir im Moment haben“, der Tagesspiegel eine „unglaubliche Kraft“, der RBB „eine Wucht“ und die Süddeutsche: „eine entsicherte Handgranate“.
Stefanie Reinsperger: Das wusste ich nicht. Seit den Salzburger Festspielen lese ich keine Kritiken mehr. Damals waren die Kritiken zu beleidigend; jetzt muss ich konsequent sein und lese die guten auch nicht mehr. Ich habe fünf, sechs Leute, die mir direkt nach dem Abend persönlich ihre Kritik geben.
In Salzburg haben Sie die Buhlschaft im „Jedermann“ gespielt – eine Rolle, die eine nationale Institution ist. Ihr Buch „Ganz schön wütend“ beschreibt die Reaktionen als massive Verletzung. Tenor: Für eine Geliebte würden Sie schlicht zu viel wiegen. Stand das wirklich in Theaterkritiken?
Ja. Das hat mich sehr, sehr verändert. Und was mich extrem schockiert hat, war, dass das ganz oft Frauen geschrieben haben. Es hat mich verletzt, traumatisiert und fast kaputtgemacht.
Haben Sie diese Reaktion in irgendeiner Weise vorhergesehen?
Ehrlich gesagt: So wird ja fast jedes Jahr über die Buhlschaft geschrieben. Vor zwei Jahren wurde die Kollegin aufs Übelste beleidigt, weil ihre Haare zu kurz sind. Ich wurde von meinen Vorgängerinnen gewarnt – und trotzdem: Ich war sehr jung, und mir war nicht klar, wie weit die Leute gehen. Mein Highlight liegt erst ein paar Monate zurück. Da hat mich eine Frau in Wien angesprochen: „Also, Frau Reinsperger, ich habe ja Ihr Buch gelesen; ganz schlimm, was da in Salzburg passiert ist. Aber ich muss Ihnen schon noch mal sagen: Wenn man aussieht wie Sie, dann sollte man so eine Rolle auch nicht annehmen.“ Das sagen einem Fremde auf offener Straße; und deshalb ist es wichtig, dass wir darüber sprechen.
Wenn schon das Feedback in der Presse und im Gespräch so feindselig ist, was spielt sich dann in den sozialen Medien ab?
Drohungen und Hassnachrichten. Nach Salzburg habe ich mein Facebook-Profil gelöscht. Es kam aber auch eine Morddrohung direkt an die Theaterpforte, mit ausgeschnittenen Buchstaben: Wenn ich es noch mal wage, auf die Bühne zu gehen mit all meiner Fettleibigkeit, dann werde ich das bereuen, und es wird das letzte Mal sein, dass ich auf der Bühne gestanden bin. Das setzt sich bis heute fort. Jedes Mal, wenn der „Tatort“ ausgestrahlt wird, ist mein Instagram-Postfach voller Beleidigungen: „Du fette Sau hast nichts im Fernsehen zu suchen.“ Das ist bei mir an der Tagesordnung.
Zeigen Sie die Absender an?
Du kannst es melden, du kannst die Leute blockieren. Aber erreichen tust du nichts. Letztes Jahr hat sich in Österreich die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr umgebracht, weil sie im Internet massiv bedroht wurde. Man muss diese Anfeindungen im Internet endlich ernst nehmen.
Im Buch schreiben Sie, dass Sie nach Salzburg einen „Wutkörper“ haben. Hat die Erfahrung Ihr Spiel und Ihren Umgang mit Ihrem Körper auf der Bühne verändert?
Nein, das nicht. Was sich geändert hat: Ich suche keine Entschuldigungen mehr für diese Leute. Das habe ich zu lange gemacht. Ich erlaube mir, wütend zu sein. Ich nehme mir raus, das anzusprechen. Und ich werde nie mehr zulassen, dass mir irgendjemand meine Daseinsberechtigung als Schauspielerin nimmt.
Ist Wut für Sie eine produktive Kraft?
Wir Frauen müssen lernen, uns nicht mehr zu entschuldigen. Im Iran merken wir gerade, wie viel weibliche Wut bewirken kann. Das ist eine Revolution, die nur aus weiblicher Wut entsteht. Die ist ganz, ganz wichtig.
Für Männer ist es ein ganz anderes Leben, dort sowieso, aber auch hier. Ein Mann wird sich für Wutausbrüche nie so entschuldigen und reflektieren müssen wie wir Frauen. Und das muss aufhören.
Sie wollen das Wort „dick“ aufwerten, gebrauchen aber auch die Neuschöpfung „mehrgewichtig“. Was ist besser?
„Mehrgewichtig“ ist das ganz korrekte Wort. Schon „übergewichtig“ ist wertend. „Dick“ ist für viele Leute sehr negativ besetzt und verletzend. Ich gebrauche aber beides, weil nicht alle schon an dem Punkt sind, sich von diesem Wort nicht mehr unter Druck setzten zu lassen.
Sind Schmähungen, die dicke oder mehrgewichtige Menschen erdulden, hemmungsloser – weil sie im Gefühl ausgesprochen werden, im Recht zu sein? Wir hören ja alle immerzu, dass wir für unsere Gesundheit schlank sein sollen.
Das ist definitiv ein Problem. Für viele ist das der Übergriff, der irgendwie okay ist.
„Wuchtige, brummige Erscheinung“, „stark untersetzt“, „dick“, „pummelig“, „sehr breit“, „offensichtlich nicht an Sport interessiert“: Das alles sind die Drehbuchbeschreibungen von Rollen, die Ihnen angeboten wurden.
Genau. Aber es wird besser, seit ich das offen anspreche. Ich kenne auch Kollegen, die nicht lesen wollen: „mit Sixpack“. Das stresst dich sofort. Selbst wenn da nur „rote Haare“ steht. Das gehört alles abgeschafft. Ich möchte wissen, was meine Figur fühlt, welche Stärken und Schwächen sie hat. Ich muss wissen, was ich spielen kann – aber nicht, wie die Figur aussieht. Nicht mal das Alter. Lasst euch doch überraschen! Vielleicht ist deine Rolle viel älter, als du gedacht hast – weil die Schauspielerin so toll ist.