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Schauspiel Köln„Hinter den Zimmern“ als digitaler Theaterfilm

Lesezeit 3 Minuten
Szene aus dem Premieren-Stück "Hinter den Zimmern" im Schauspiel Köln

Was ist hinter den Dingen, die wir sehen? Möglicherweise Verstörendes.

Der Alltag bestimmt das Leben der meisten Menschen. Aber was befindet sich hinter den Dingen, die unser gewohntes Dasein bestimmten? Was ist, wenn man hinter den Spiegel schaut? Das Stück "Hinter den Zimmern" im Schauspiel Köln versucht, Antworten zu geben.

Die Dichter wussten es immer schon: Es gibt abgründige Welten hinter den Spiegeln unserer Alltags-Existenz. So beförderte Lewis Carroll seine Alice durch den Kaninchenbau ins Wunderland voll bizarrer Wesen. Das klassische Märchen lebt heute als urbane Legende fort – und darum kreist die Digitaluraufführung von „Hinter den Zimmern“, die Roman Senkl nun als Live-Theaterfilm mit dem Schauspiel Köln produzierte.

Das Premieren-Streaming über den Videospielkanal Twitch erscheint dabei logisch, denn die „Backrooms“ genannten Paralleluniversen sind wichtige Bausteine von Fantasy-Games wie „Minecraft“. Der Aufbruch ins Surreale beginnt bei Senkl verblüffend bodenständig in den alten Theaterwerkstätten in Köln-Ehrenfeld. Allerdings soll hier vor acht Jahren der Hausmeister Sander van Doorn durch eine Wand „geglitcht“, von dieser also gewissermaßen verschluckt worden sein. Seither fehlt jede Spur von ihm.

Befreiung aus den Backrooms

Den wundersamen Fall zeigt ein millionenfach geklickter Videoclip. Dessen Echtheit wollen Henni (Kristin Steffen) und Toto (Alexander Angeletta) nun als Enthüllungsjournalisten prüfen und Sander womöglich aus den Backrooms befreien. Vor Ort treffen sie dessen Bruder Joris (Yuri Englert) an, einen seltsamen Plastikpflanzen-Freak, der im verlassenen Gemäuer sein Elternhaus als Heim der halb dementen Mutter Agnes (Margot Gödrös) nachgebaut hat.

Rasch mündet die illegale Ortsbegehung ins Gespenstische: Welche Geheimnisse speichert Agnes auf ihren Kassetten? Was hat Herr Keyserthal (Andreas Grötzinger als sinistrer Pistolero) mit den Geschehnissen zu tun? Purzeln hier wirklich Treppenstufen ins Nichts, verschwinden Türen und Schränke? Können es Henni und Toto überhaupt schaffen, mit ihrem Format „Face the Fakes“ Licht ins Dunkel zu bringen?

Autor Wilke Weermann will offenbar die Grenzbereiche von Wahrnehmung und Halluzination, Fakten und Fälschungen ausloten. Ein ambitioniertes Unterfangen, das letztlich vor allem pseudo-tiefsinnige Sprüche zeitigt: „Das wirklich objektive Wissen muss nicht vom Subjekt gewusst werden.“

Mit seiner Digitalplattform minus.eins nutzt Regisseur Senkl die Kombinationsvielfalt von Schauspiel, Film und virtueller Realität streckenweise durchaus frappierend. Da saust eine putzige Steadycam wohl als ironisches „Shining“-Zitat durch die Kulissen, in denen plötzlich Ariadnefäden auf monströse Gefahren hindeuten.

Und irgendwann öffnen sich die Backrooms: Henni purzelt in jene eintönigen, scheinbar endlosen Labyrinthe, die man auf diversen Ebenen einschlägiger Games sieht: eine lindgrüne Bürohölle oder eine steril gekachelte Lagunenstadt, die als Abklingbecken für Sanders (Paul Basonga) gestresste Seele dient.

Auch wenn hier nicht wie bei David Lynch Schleusen zu verstörenden Triebwelten aufreißen – auf intellektuell eher schmaler Spur läuft der Abend nach zähem Auftakt in ein visuell faszinierendes Finale.

Und von den registrierten Twitch-Nutzen gibt es viel Lob: „Mega!„ oder „Leute, ihr seid der Hammer.“


Weitere Aufführungen und Hinweise

70 Minuten ohne Pause. Wieder am 27./28.5. sowie 6. und 22.6., jeweils 21 Uhr. Stream über die Schauspiel-Website kostenlos und ohne Anmeldung nutzbar. Wer mit dem Ensemble chatten will, muss sich bei Twitch registrieren.

www.schaupiel.koeln und m.twitch.tv