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Schauspiel Köln„Bomb“ im Depot 2 wirft einen bewegenden Blick auf den Krieg

Lesezeit 3 Minuten
Ikarus

Der Flug des Ikarus: Szene aus Maya Arad Yasurs Stück "Bomb".

  1. Das Stück ist eine bewegende Erzählung über die Auswirkungen von Krieg auf freiwillig und unfreiwillig Betroffene.
  2. Die Inszenierung versucht der polyphonen Textmasse Herr zu werden, was ihr durchaus überzeugend gelingt.

Köln – Sie sind alle Opfer des Krieges – obwohl sie überlebt haben. Die junge Frau, die sich in einer Kunstperformance ihre Haare einzeln ausreißt und an die Arme klebt, als sollten dies Flügel sein. Und der junge Fotograf, der sie beobachtet. Beide haben durch den Krieg ihre Väter verloren. Sein Vater starb, als er Menschen aus einem von einer Rakete getroffenen Wagen retten wollte. Ihr Vater verließ die Familie, weil er nicht damit leben konnte, einen Raketenangriff, bei dem seine Kameraden starben, durch Zufall überlebt zu haben.

Und am Steuer des todbringenden Kampfjets saß beide Male derselbe von Zweifeln geplagte Pilot: Darf ich eine Schule bombardieren, auch wenn meine Befehlshaber mir versichern, dass sich darin Terroristen verschanzt haben? Sollte ich wirklich eine Panzerdivision beschießen, auch wenn dies eigentlich gar nicht der Feind sein kann?

Diese Fragen schweben über der bejubelten Uraufführung von Maya Arad Yasurs Stück „Bomb“ im Depot 2 des Kölner Schauspiels.

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Yasur gewann vor zwei Jahren beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens mit dem Drama „Amsterdam“ – der Preis umfasst neben 7000 Euro auch die Inszenierung eines neuen Stücks am Kölner Schauspiel, die jetzt die britische Regisseurin Lily Sykes übernahm.

Kein leichtes Unterfangen, denn die 1976 in Israel geborene Autorin verzichtet auf klare Rollenverteilung. Die sechs Darsteller – Birgit Walter, Ines Marie Westernstroer, Laura Friedmann, Nikolaus Benda, Justus Maier und Campbell Caspary – fungieren in allererster Linie als Beobachter und Erzähler, verkörpern nur manchmal Figuren ihrer Geschichte.

Untermalung durch Songs

Ausgehend von der „Ikarus“-Performance der jungen Künstlerin Naomi stellen sie Vermutungen an über die Bedeutung hinter der verstörenden Aktion. Sie befeuern sich gegenseitig in Spekulationen, nehmen Ideen ihrer Mitstreiter auf, spinnen diese weiter oder verwerfen sie, um den Bewusstseinsstrom in eine gänzlich andere Richtung fließen zu lassen. Das nimmt bisweilen die hysterischen Züge einer Karikatur von Fernseh- oder Werbeleuten an, die zusammengepfercht in einen Raum ein neues Projekt entwickeln. Oder erinnert an Vernissagebesucher, die in möglichst hochgestochener Ausdrucksweise einen tieferen Sinn in der Performance zu ergründen versuchen. Diese Vielstimmigkeit mündet wie logisch in Songs, die Komponist David Schwarz (am Klavier) zusammen mit dem Cellisten Ioan Hamza untermalt.

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Die Bühne von Eva Veronica Born wird dominiert von einer Art Karussell, in dessen Mitte ein Atompilz steht und das bisweilen von den Schauspielern von Hand in Gang gesetzt oder als Klettergerüst genutzt wird. Drumherum sind kleine Plastikhocker drapiert, die als Sitzgelegenheit und Abstellfläche für Topfpflanzen dienen, zum Flugzeugcockpit werden – oder durch die Gegend fliegen. Hin und wieder taucht ein kleines Mädchen auf (alternierend Ida Marie Fayl und Ruth Grubenbecher), mal als Rotkäppchen, mal als Schneewittchen (Kostüme: Jelena Miletic).

Mit kunstvollen Einfällen gegen die reine Textflut

Lily Sykes arrangiert ein mal kleineres, mal größeres Tohuwabohu, um der Unmäßigkeit von Kampfhandlungen jeglicher Art etwas entgegenzusetzen – um ihre Akteure dankenswerterweise aus dem vorherrschenden Duktus von Mauerschau und Botenbericht zu befreien. Textmengen frontal ins Publikum und mit leicht in die Unendlichkeit gerichtetem Blick verabreicht – das könnte auf Dauer ermüden. Doch das verhindern vor allem die kunstvoll von Maya Arad Yasur gesponnenen Verstrickungen.

Schießt sie mit dieser Verkettung über das nachvollziehbare Ziel hinaus? Das tut Krieg immer. Und das weiß man, ohne Yasurs Inspirationen zu kennen: Hagai Tamir, der sich 1982 geweigert hatte, ein Gebäude im Libanon zu bombadieren und damit in seiner Heimat Israel zu einem Mythos wurde. Oder Claude Eatherly, der angeblich den Atombombenabwurf auf Hiroshima mitverantwortete, kriminell wurde und in der Psychiatrie landete. Sie alle: Opfer des Krieges.

100 Minuten (ohne Pause). Wieder am 15. und 29.2., 20. und 27.3., jeweils 20 Uhr, 4.3., 19.30 Uhr.