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SchauspielFlorentina Holzinger befreit aus dem Korsett

Lesezeit 4 Minuten
Szene aus Ophelia's Got Talent von Florentina Holzinger.

Szene aus Ophelia's Got Talent von Florentina Holzinger.

Die österreichische Performance-Künstlerin Florentina Holzinger war jetzt im Depot zu sehen. 

Es hat etwas gedauert bis Florentina Holzinger auch in Köln angekommen ist. Inzwischen räumte die 39-jährige Wienerin so ziemlich alles an Preisen ab, was man in der deutschsprachigen Theaterwelt an Auszeichnungen erhalten kann. Sie wurde unter den 100 bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart von der Zeitschrift Monopol auf den ersten Platz gesetzt. Und sie gewann mit dem Faust den wichtigsten Theaterpreise für „Ophelia’s got talent“, der Produktion, die jetzt im Schauspiel Köln zu sehen war.

Chaos auf der Bühne

Die Tatsache, dass die drei Vorstellungen ausverkauft waren, beantwortet möglicherweise auch die Frage, ob man das sehen will, was Holzinger an extremen Performance-Einlagen zeigt. Ihre Bearbeitung von Paul Hindemiths Oper „Sancta“ hatte allerdings weder bei der Premiere in Schwerin noch bei den Wiener Festwochen Erregung ausgelöst. Erst als ein von der „Bild-Zeitung“ skandalisiertes Gastspiel in Stuttgart thematisiert wurde, gab es mediale Schreckensmeldungen. Das Publikum in Köln wusste also, warum es ins Depot nach Mülheim gekommen war. Und die Zuschauer sind in Holzingers Inszenierungen so etwas wie die zentrale Schattengestalten.

Alles, was da an Schönheit und Chaos auf der Bühne geschieht, ist auf die Reaktion derjenigen ausgerichtet, die im Dunkel sitzen. Das beginnt mit der exzessiven Nacktheit, setzt sich in den akrobatischen Aktionen, einer eigenwilligen Dramatik und einem Schlussbild fort, bei dem sich die Menschen auf den Rängen in ausgelassener Partystimmung befinden. Überhaupt die Nacktheit. Ein altes Thema des Theaters, das hier gleich abgeräumt wird. Im durchweg weiblichen Ensemble mit und ohne körperliche Beeinträchtigung, die Rollator oder Rollstuhl notwendig macht, agieren alle ohne Hosen.

So ist das bei Florentina Holzinger, ihr Theaterverständnis beruht auf der Performance. Alles echt, ist die Devise, sie selbst steht bis auf die Haut für ihre Arbeit ein. An Nacktheit gewöhnt man sich schnell, auch Schauspielende sind halt Menschen, die so aussehen, wie Gott sie erschuf. Und doch bleibt die Nacktheit eine Provokation, die gegen weibliche Schamhaftigkeit gerichtet ist. Wenn das Wort von der Selbstermächtigung irgendeinen Sinn haben sollte, dann findet sie hier statt. Das ist die Botschaft, die man nach einer Holzinger-Produktion mitnimmt. Das 15-köpfige Ensemble buchstabiert sie im Look der männlichen Matrosenwelt mit Dreispitz, Rum-Buddel und untenrum viel Textilfreiheit. Was Frauen alles können, wird hier eindrucksvoll gezeigt, und das nicht zuletzt im Bereich muskulärer Leistungen.

Bizarre Burleske

Der Titel „Ophelia’s got talent“ erinnert an Hamlets geliebte Ophelia, deren Tragik darin besteht, dass sie stirbt, bevor sie ihr volles Potenzial entfalten konnte. Und es geht in der Show des Abends eben auch um die voyeuristisch-sadistischen Tribunale der Fernsehshows von „The Voice“ oder „Let’s dance“ bis zu Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“, in denen Weiblichkeit dem ungnädigen Jurorenblick der Fernsehnation unterworfen ist. Es ist nicht alleine hämische Ironie und bizarre Burleske, mit der die spießige Kommerzialisierung menschlicher Triebregungen in den digitalen Medien von Holzinger ad absurdum geführt werden.

Ihr Konzept beruht auf einer inhaltlich kühnen Ambivalenz. Hier wird sowohl die Benutzung des weiblichen Körpers für ihm fremde Fantasien thematisiert, als auch seine Befreiung aus diesem Korsett. Beides findet im Zuge einer lustvollen Ausgelassenheit statt, die zum eigentlichen Markenzeichen von Florentina Holzinger geworden ist.

Traktierte Wassergestalten

Die mythologisch traktierten Wassergestalten wie Melusine, Undine oder die Nymphen bieten die entsprechenden Sujets. Viel Schönheit der in den diversen Wasserbecken geschmeidig fließenden Frauenkörpern ist zu sehen, die dann vom realen Schock gekontert wird, wenn der Körper „bis tief in die Seele“ hinein erkundet wird. Entweder mit Fleischhaken durch die Wange, einer Sonde, die mal eben in den Magen eingeführt wird, oder dem Anker-Tattoo, das eine Besucherin auf den Brustkorb gestochen bekommt. Dramaturgisch geht im lärmenden Spektakel mitunter der Faden verloren.

Manchmal wird aber auch teuflisch mit dem Adrenalin des Publikums gespielt, wenn sich scheinbar ein Unfall im Wassertank ereignet und der Saal schlagartig verstummt. Alles live, Florentina Holzinger zeigt, was auf einer Bühne möglich ist, nicht nur, wenn sechs nackte Frauenkörper an einem Helikopter durch die Lüfte fliegen, sondern auch, wie fröhlich Feminismus sein kann.