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Robert Wilson nimmt sich „Moby Dick“ anNeue Bühnenfassung am Düsseldorfer Schauspielhaus bejubelt

Lesezeit 3 Minuten
Moby Dick
von Herman Melville
Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson — Songs und Lyrics: Anna Calvi
 
Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson
Songs und Lyrics: Anna Calvi
Kostüm: Julia von Leliwa
Co-Regie: Ann-Christin Rommen
Co-Bühnenbild: Serge von Arx
Co-Lichtdesign: Marcello Lumaca
Video: Tomasz Jeziorski
Make-Up-Design: Manu Halligan
Music Supervisor und Arrangements: Chris Wheeler
Musikalische Leitung: Dom Bouffard
Orchester-Arrangements: Chris Wheeler
Sounddesign: Torben Kärst
Dramaturgie: Robert Koall
Dramaturgische Mitarbeit: Eli Troen
 
Auf dem Bild
Rosa Enskat
 
Foto: Lucie Jansch

Rosa Enskat spielt Kapitän Ahab.

Literatur-Klassiker als Theaterstück: Regie-Altmeister Robert Wilson bringt „Moby Dick“ von Herman Melville auf die Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Was kommt einem bei „Moby Dick“ in den Sinn? Kapitän Ahab, der den weißen Wal jagt, weil dieser ihm ein Bein abgerissen und so zum Krüppel gemacht hat. Für die Fassung, die Robert Wilson jetzt auf die Bühnen des Düsseldorfer Schauspielhauses gebracht hat, braucht man eigentlich auch nicht mehr zu wissen.

Herman Melvilles (1819−1891) Roman hatte bei Erscheinen im Jahr 1851 Kritik und Publikum abgestoßen. Der Erwartung auf eine gerade erzählte Abenteuergeschichte hatte Melville derart unterlaufen, dass er den Kern-Plot durch Einschübe und detaillierte Beschreibungen anreichert.

Klassiker mit Verspätung

Erst nach Melvilles Tod begann man das Buch zu den Klassikern zu rechnen – zur Popularität der Figuren trugen schließlich John Houstons Verfilmung mit Gregory Peck (1956) oder zahlreiche gekürzte Jugendbuch-Ausgaben bei.

Fast wie bei einer Graphic Novel wurde nun (die Fassung erstellte Dramaturg Robert Koall) alles scheinbar Überflüssige im wahrsten Sinne des Wortes über Bord geworfen – darunter sicherlich viel Ballast, aber nicht nur. Aus Melvilles Textgebirge schlägt man nur einzelne Steine, die zu einem Mosaik zusammensetzt werden, das allerdings kein schlüssiges Bild ergeben will.

Neue verwirrende Figur

Warum wird der Harpunier Queequeg (Yaroslav Ros) intensiv eingeführt, inklusive der homoerotischen Anklänge in seiner Beziehung zum Erzähler Ismael (Kilian Ponert), während im weiteren Verlauf weder er noch diese Freundschaft eine Rolle spielen?

Der im Mittelpunkt stehenden Schiffsbesatzung rund um Ahab wird mit „The Boy“ (Christopher Nell) eine neu-geschaffene Figur an die Seite gestellt, ein quirliger Kommentator, der ein Enkel des Erzählers Ismael sein könnte, Ahabs jungenhaftes Gewissen, um schließlich auch den Schiffsjungen Pip zu verkörpern. Eine flirrende Gestalt, sehr präsent und doch nicht greifbar. Als gäbe es nicht schon genügend Personal in der Vorlage.

Rosa Enskat brilliert als Ahab

Auch dass mit Rosa Enskat eine Frau den rachsüchtigen Ahab verkörpert, scheint keinen anderen Grund zu haben, als dass Enskat, exzellente Schauspielerin, die sie ist, diese Aufgabe mit Bravour meistert. Ihr Ahab hat das Sagen, erlaubt keine Schwächen, und wandelt doch permanent auf dem Grat zum Wahnsinn. Beeindruckend, wie sie einem Sektenführer gleich, die Mannschaft auf die Jagd nach dem Wal einpeitscht.

Und wenn Wilson sie mit dem Rücken zum Publikum auf die Projektion der Wassermassen schauen lässt, verwandelt das geistige Auge sie schnell in Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ – auch wenn der Spazierstock bei beiden aus unterschiedlichen Gründen benutzt wird.

Extreme Wiederholungen der Texte

Optisch setzt Wilson wie gewohnt auf scharfe Schweiß-Weiß-Kontraste: auf helles, maskenhaftes Make-up zu monochromen Kostümen (Julia von Leliwa), das Spiel mit Licht und Schatten und mehrheitlich angedeutete Ausstattungselemente (beides verantwortet der 82-Jährige wie gewohnt selber). Wo Wilson draufsteht, steckt auch Wilson drin.

Die Textbruchstücke des Originals werden in den einzelnen Szenen bis zum Ermüden, ja bis zum Genervtsein wiederholt.

Schöne Songs von Anna Calvi

An anderer Stelle überlagert die laute Musik das gesprochene Wort, so dass der Inhalt der fatalen Szene, in der die Crew endlich auf den weißen Wal trifft, nicht nachvollzogen werden kann. Auch die von Anna Calvi komponierten Lieder erfahren nicht die Wertschätzung, die ihnen gebührt.

Famos vorgetragen wird bei den englisch gesungenen Songs, die mal Liebeslied, mal Shanty sind, nicht klar, ob sie nun Kommentare sind oder wie in einem Musical die Handlung voranbringen. Untertitel wären sicher hilfreich gewesen, auch wenn sie die Optik gestört hätten.

Jubel des Premierenpublikums

„Ich bin hierher gekommen, um Wale zu jagen, nicht um einen Kapitän zu rächen!“, wirft Offizier Starbuck Ahab einmal an den Kopf. Dem Applaus, dem Jubel und den Standing Ovations des Premierenabends nach, ist man in der Mehrzahl hierher in Schauspielhaus gekommen, um einen Robert-Wilson-Abend zu erleben. Dass „Moby Dick“ auf dem Programm war, scheint eher die Nebensache.

145 Minuten (keine Pause). Wieder am 28./29.9., 6./19./20./26.10. sowie weitere Termine im Laufe der Spielzeit.