„Rath“-SerieVolker Kutscher legt mit „Marlow“ den siebten Band vor

Nürnberg und der Reichsparteitag (hier ein Foto von 1936) spielen in Kutschers Buch eine entscheidende Rolle.
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Köln – „Ich bin Mordermittler, und Mord ist Unrecht, ganz gleich, wer gerade regiert.“ Im Hause Rath herrscht 1935 Unfrieden: Gereon hat sich mehr oder minder mit den Zeiten arrangiert, ohne sich mit ihnen anzufreunden. Ziehsohn Fritze marschiert begeistert mit der Hitler-Jugend zum Reichsparteitag in Nürnberg. Und Ehefrau Charly hadert mit allem, das mit den Nazis zu tun hat – von den Partei- über die Literaturverbote bis hin zum Frauenbild, aufgrund dessen sie nicht Juristin werden kann, sondern als Rechtsanwaltsgehilfin und Privatdetektivin zum Haushaltsbudget beitragen muss. Und das ist knapper geworden, seit Rath kein Geld mehr vom Gangster „Marlow“ annimmt. Willkommen im siebten Teil von Volker Kutschers opulenter Berliner Krimi-Serie.
Taxifahrer als Mörder?
Als bei einem Taxiunfall neben dem Fahrer auch ein SS-Mann stirbt, findet Rath heraus, dass der Mann am Steuer an einem unheilbaren Gehirntumor litt. Die Ermittlungen führen zurück ins Jahr 1927, als schon einmal Sterbenskranke andere mit in den Tod rissen. Und immer wieder taucht der titelgebende Gangsterboss auf, der mittlerweile versucht – im Rahmen der neuen politischen Möglichkeiten – auf nicht mehr gesetzeswidrige Weise sein Geld zu verdienen. In anderen Worten: Er sucht den Schulterschluss mit dem neuen Regime und kann mit dem Kauf von Immobilien geflohener Juden sein Scherfleins ins Trockene bringen.
Kutscher gelingt es vortrefflich, die NS-Schlinge, die sich um das Land und alle seine Bewohner legt, und die damit einhergehende permanente Bedrohung in Worte zu fassen. Während Rath zunächst bisweilen fast naiv agiert und reagiert, wird ihm schließlich auf perfide Art vor Augen geführt, dass er seine Haltung überdenken muss. Die Frage ist nur, wie...
Der Kölner Autor hat im Moment einmal mehr einen exzellenten Lauf: Die pralle Verfilmung seines ersten Romans „Der nasse Fisch“ bekam meist positive Kritiken. Und auch wenn die Quoten bei der ARD nicht komplett durch die Decke gingen, hat sich „Babylon Berlin“ dank der neuen Sehgewohnheiten zum öffentlich-rechtlichen Streamingerfolg gemausert. Während nun die zweite Staffel im „Free-TV“ läuft, kommt also ein neues Buch, das sicherlich viele Leser anziehen wird, die – wie etwa der Rezensent – nicht alle vorherigen Bände gelesen haben. Doch gerade denen macht es Kutscher nicht gerade leicht.
Immer mal wieder lässt er lange verschollene Figuren wie Sebastian Tornow auftauchen, die zwar Protagonisten und eingefleischten Fans bekannt sind, aber von den Neuen oder den Rückkehrern nur schwerlich eingeordnet werden können. Weiß ich alles, was ich über diese oder jene Person wissen muss? Oder finden sich diese Informationen in Band drei oder vier? Oder in Nr. acht?
Und das, obwohl Kutscher überflüssigen Wiederholungen gegenüber alles andere als abgeneigt ist. Auch wenn er sie als Reflexionen oder gedankliche Zusammenfassungen seiner Figuren am Beginn eines neuen Kapitels tarnt, erinnert dies doch stark an die tumbe Angewohnheit des Privatfernsehens, nach einem Werbeblock den Sermon von vor ein paar Minuten noch einmal auszuwalzen.
Erfrischend ist dagegen, wie Kutscher die Biografien seiner Figuren immer wieder heraufbeschwört, denn damit grenzt er sich klar von den Veränderungen ab, die die Serienmacher vorgenommen haben. So war Greta Charlys Rettungsanker, als diese drohte, obdachlos zu werden – und nicht wie im TV umgekehrt. Mutter Ritter, ein frühes Todesopfer in der Serie, darf hier nun munter für die Nazis schwärmen. Und Rath, dessen Darsteller Volker Bruch in „Babylon Berlin“ in zugegebenermaßen hinreißenden Tanzszenen brilliert, sinniert in „Marlow“ über seine mangelnden Qualitäten als Tänzer. Und daran tut er gut, denn wer weiß, wie viele Staffeln es noch geben wird. Weitere Bücher hat Kutscher auf jeden Fall noch geplant.
Volker Kutscher. Marlow. Der siebte Rath-Roman. Piper, 528 S., 24 Euro.