Im Abokonzert des Gürzenich-Orchesters spielen Quatuor Diotima Werke von Arnold Schönberg.
Quatuor DiotimaDer Beat hält zusammen
Sie sind Artist in Residence des Gürzenich-Orchesters. Was ist damit verbunden?
Franck Chevalier: Auf diese Zusammenarbeit sind wir sehr stolz. Das erste Projekt beginnt am Sonntag mit Arnold Schönbergs Konzert für Quartett und Orchester nach dem Concerto grosso op. 6 Nr. 7 von Georg Friedrich Händel. Im Mai werden wir die Metamorphosen für Streichquartett von Richard Strauss und Franz Schuberts Oktett spielen.
Mit Musikern aus dem Orchester?
Franck Chevalier: Ja, mit einzelnen Musikern des Orchesters werden wir zusammenspielen.
Wie ist das Gefühl, als Quartett inmitten eines Orchesters zu sitzen? Franck Chevalier: Das ist schwer zu beantworten, weil wir diese Situation nicht so oft haben. Wir sind ein bisschen nervös. Denn da gibt es auf einmal so viele Leute, die die gleichen Instrumente spielen wie du. Und dabei verändert man sich im Zusammenspiel. Aber das ist total normal. Es ist jedoch eine Herausforderung.
Diotima macht seit bald drei Jahrzehnten Furore im klassisch-romantischen Repertoire sowie in der Musik der Gegenwart. Was hält Ihr Quartett zusammen?
Franck Chevalier: Die ursprüngliche Formation hat sich verändert. Es ist sicherlich nicht die Freundschaft, sondern der Beat, der zusammenhält. Das ist so wie bei Rockgruppen. Aber die Beziehungen sind kompliziert, und Spannungen sind immer da. Mal explodiert es, mal implodiert es. Wenn man ein sehr starkes künstlerisches Ziel hat, dann bleibt man aber zusammen.
Sie werden als Brückenbauer zwischen Tradition und Gegenwart bezeichnet. Sie sprachen einmal von der hohen Verantwortung, die zeitgenössischen Musik an die folgenden Generationen weiterzugeben. Wie optimistisch sind Sie, dass dieses Repertoire noch in zwanzig, dreißig Jahren gespielt wird?
Franck Chevalier: Eine interessante Frage. Nun, es besteht eine Gefahr, dass diese Musik nicht mehr gespielt wird. Denn wir sehen, dass sich die Welt stark verändert. Aber Kreativität wird immer da sein. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, all diesen Erfahrungen mit Neuer Musik Raum zu geben und das der neuen Generation zu vermitteln. Wir versuchen, sie zu interessieren, und mit einigen von ihnen gelingt es uns. Es gibt also Hoffnung.
Und wie ist das ältere Publikum auf die Neue Musik eingestellt?
Léo Marillier: Als wir Lachenmanns Quartett „Grido“ vor zwei Jahren in Stuttgart spielten und anfingen, auf den Saiten zu kratzen und zu schnarren, stand eine alte Dame in der ersten Reihe sofort auf und ging. Dann kam sie zurück, um ihren Freund zu holen. Einige im Publikum mochten das Stück, andere haben Buh gerufen. Aber es ist so. Wenn es dir nicht gefällt, magst du es wirklich nicht.
An der Universität von Chicago haben Sie mit jungen Komponisten zusammengearbeitet. Womit beschäftigen die sich?
Franck Chevalier: An der amerikanischen Universität ist man ein bisschen besessen von den gesellschaftlichen Fragen. Über den Platz für Minderheiten, die Vernunft – all dieser Fragen sind sehr präsent in ihren Köpfen. Ich würde also sagen, dass das musikalische Material weniger interessant ist, da zu viele von ihnen Themen darstellen, die nach politischen oder moralischen Fragen klingen. Hauptinspirationsquelle sind die Klänge der Natur.
Komponisten wie Pierre Boulez, Toshio Hosokawa, Miroslav Srnka, Alberto Posadas, Mauro Lanza, Gérard Pesson, Rebecca Saunders und Tristan Murail haben Stücke für Diotima geschrieben. Was kann ein Quartett dabei anregen?
Franck Chevalier: Das Streichquartett ist in gewisser Weise in Gefahr, weil es ein sehr anspruchsvolles Ausdrucksmittel für einen Komponisten ist. Es ist die schwierigste Disziplin, weil es für vier Leute mit im Grunde gleichen Instrumenten gedacht ist. Und damit muss man eine Welt erschaffen. Das ist sehr anspruchsvoll für Komponisten. Viel einfacher ist es für sie, wenn sie für Ensembles oder etwas mit anderen Klangarten schreiben und aufregende, dramatische Musik daraus machen können.
Rebecca Saunders und Enno Poppe waren zuletzt Porträtkomponisten des Acht-Brücken-Festivals und lobten die Aufgeschlossenheit des Kölner Publikums für die zeitgenössische Musik.
Franck Chevalier: Ich denke, das ist sehr wahr. Köln ist eine sehr wichtige Stadt für die Musik und vor allem für die Neue Musik. Und das Publikum ist auch heute noch sehr interessiert. Als Musiker spürt man das sehr stark, wenn man auf der Bühne steht. Ja, man merkt, wie die Leute hören oder ob sie das Gegenteil von aufmerksam sind. Ein bisschen gelangweilt von dem, was auf der Bühne passiert. Das geschieht in anderen Städten schon einmal eher. Köln ist da eine besondere Stadt.
Léo Marillier: Als wir mit dem Zug vom Flughafen hierherfuhren, sahen wir Menschen, die am Ufer lagen. Das war sehr verlockend. Also die Atmosphäre hier ist sehr schön
Im Abokonzert des Gürzenich-Orchesters in der Philharmonie sind Arnold Schönbergs Fünf Orchesterstücke op. 16 zu hören sowie sein Konzert für Streichquartett und Orchester B-Dur nach dem Concerto grosso von Georg Friedrich Händel. Und Schönbergs Pelléas und Melisande op. 5 Sinfonische Dichtung nach dem Drama von Maurice Maeterlinck. Dirigent ist Matthias Pintscher, der für Diotima schon komponierte. 22. 9. 11 Uhr, 23. und 24. 9., je 20 Uhr. (jan)