Die Premiere der Oper "Das Biest im Dschungel" wurde frenetisch gefeiert. Die Musik ist großes Kino.
PremiereUnerfüllte Liebe an der Kölner Oper
Was wirklich geschehen ist, besteht darin, dass es nicht geschah. Einen so flatterhaften Handlungsstrang wortreich über 90 Minuten auszuführen, in Szene zu setzen und spannend zu vertonen, eine solche Aufgabe ist nichts für Angsthasen.
Im Kreidekreis
Generalmusikdirektor François-Xavier Roth betreute jetzt selbst die Uraufführung der Oper „Das Biest im Dschungel“ der beiden französischen Künstler Arnaud Petit und Jean Pavans, die eine Novelle des amerikanischen Autors Henry James für das Musiktheater umschrieben – mit begeisterndem Erfolg beim Premierenpublikum im Staatenhaus.
Die Leere und Weite im Saal 3 der Opern-Interimsspielstätte, dem Ort für die Kinderoper und für Spezielles, wurde diesmal mit einem Kreidekreis auf eine Arena zentriert. Zwei Zuschauerblöcke flankierten das Spielzentrum, eine Seite füllte das Orchester, die verbleibende begrenzte eine Leinwand und ein Overhead-Projektor.
An letzterem bastelte der Regisseur Frederic Wake-Walker, der in Köln bereits die Oper „Peter Grimes“ seines Landsmannes Benjamin Britten betreut hat, aus Foto-Kollagen mögliche Bühnenbilder. Der Zuschauer war aufgefordert, die mehrfach projizierten bildhaften Hinweise als Raumausstattung vor dem inneren Auge zu montieren – für die imaginierten Innenwelten, und in diesem Stück spielt alles in den Köpfen, sind die Betrachter zuständig.
Atemkontrolle
Und sie werden zunächst behutsam eingewiesen. Wie zu einer Meditation lädt der Regisseur, der als Erzähler und Bildtechniker selbst auf der Bühne agiert, in einem Pre-Prolog sein Publikum mit sonoren Hinweisen zu Atemkontrolle, festem Fußstand auf breiter Sohle und schließlich sogar zu friedlicher Begrüßung der jeweiligen Sitznachbarn ein.
Bei geschlossenen Augen sollen die Gedanken geordnet werden: „Denken Sie an einen Menschen, den Sie geliebt haben könnten, aber nicht haben!“ Die Idee ist großartig, und sie war dem britischen Autor Henry James eine Novelle wert. Er erfand dafür den alleinstehenden Gentleman John, der ein ruhiges und sicheres Leben führt. Aber die Angst vor einem gefährlichen Ereignis in seiner Zukunft belauert ihn wie ein „Biest im Dschungel“.
Er weiht eine Bekanntschaft namens May in diese Psychose ein, in ihr findet er eine verlässliche sanfte Partnerin, ohne ein Paar zu werden. Als sie stirbt, erkennt er in ihr seine unerfüllte Liebe. Der Librettist Jean Pavans, der das Gesamtwerk von James ins Französische übersetzt hat und daher auch das Leben des Autors sehr gut kennt, verwebte Autobiographisches in den fiktionalen Text.
Es entsteht eine lose Folge von Monologen und Gesprächen, neue Szenarien werden vom Erzähler sensibel kommentierend eingeführt. Emily Hindrichs und Miljenko Turk verkörpern und singen die Partien der May und des John.
Die Sopranistin hat ihr Spektrum von der „Königin der Nacht“ bis zur Marie in Zimmermanns Soldaten mehrfach vorgestellt, und sie bewältigt die anspruchsvolle Stimmführung beeindruckend. Das gilt natürlich auch für das Kölner Opern-Urgestein und frisch gekürten Kammersänger Turk, dessen leidenschaftliche Darstellungskunst jetzt rollengerecht meist unter der Haut pulsiert.
Musik mit Lokalkolorit
Gesungen wird besonders gut, weil die feine Musik des Franzosen Petit die Solo-Stimmen meist bettet und führt. Die Musik gleicht einem französischen Zauberwerk, typisch in Farbe und Esprit mit Lokalkolorit, sehr zeitgenössisch instrumentiert zwischen klassischem Orchester und Rockband. Saxophone im klassischen Holzbläser-Satz treffen auf exponierte Geigensoli des Konzertmeisters im Gespräch mit der Bassklarinette, das Solo-Horn schmachtet sich diatonisch abwärts, während die Schlagwerker das Gemisch immer wieder frisch aufschütteln.
GMD Roth hockt wie das Biest persönlich auf einem Sessel und liebt augenscheinlich die wilde Klangmischung. Er verfeinert beständig den idealen Klangboden für die Solostimmen, schwelgt in dieser sehr angenehmen, nie Klang-verweigernden Musik, die sich niemals vorherhörbar erschöpft. Die Musik ist großes Kino.
Regisseur Frederic Wake-Walker und seine Bühnenspezialistin Anna Jones haben ein atmosphärisch packendes Stück auf die Bühne gebracht, Handmade und mit einfachsten, deshalb ehrlichen Mitteln, die einer emotionalen Innenschau mit einbezogenem Publikum aufs Beste dienen.
Ein bisschen Miles Davis-Sound mit gestopfter Trompete zum Glockenklang eines E-Pianos leitet ein in die Schluss-Sequenz mit einem genialen Spiegeleffekt: Das Paar kommt optisch zusammen, aber körperlich bleiben die beiden Protagonisten einsam. Die Frau tanzt bereits als Schatten, und das Biest bäumt sich: Einen positiven Ausgang der Geschichte erlebte wohl nur das Publikum; dafür gab es zahllose Vorhänge.
90 Minuten, weitere Aufführungen am 20./22./27./30.04.23