AboAbonnieren

PremiereSchauspiel zeigt Kafkas "Der Prozess"

Lesezeit 4 Minuten
Josef K. (Alexander Angeletta) sucht Trost bei Frauen und Hilfe bei Ratgebern.

Josef K. (Alexander Angeletta) sucht Trost bei Frauen und Hilfe bei Ratgebern.

"Der Prozess": Pinar Karabulut inszeniert Kafka im Depot 1 des Kölner Schauspiels mit Hilfe von Videos.

Die realen Albträume der bekanntesten Kafka-Helden beginnen im Bett. So fand sich Gregor Samsa beim Aufwachen „zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“. Auch Josef K. ist noch im Halbschlaf, als ihm zwei „Wächter“ seine Verhaftung erklären. Die Vorwürfe kennen weder sie noch er – und dieses schwarze Loch grundiert Franz Kafkas Romanfragment „Der Prozess“, das Pınar Karabulut nun in eigener Fassung auf die große Bühne des Schauspiels Köln brachte.

Raffiniertes Video zum Eingang

Das Werk des Prager Dichters (1883 – 1924) schillert so dunkel wie kaum ein anderes Rätsel der Weltliteratur: Blickt es auf die gigantische Schicksalsmaschinerie, deren Räderwerk wir bis zu unserem letzten Atemzug nie durchschauen können? Oder stülpt sich bei dieser Odyssee durch labyrinthische Instanzen, vorbei an erotischen Irrlichtern, das Unterbewusstsein des Autors nach außen? Immerhin litt er zur „Prozess“-Entstehungszeit 1914/15 an seinem Liebesdesaster mit Felice Bauer…

Statt hier Partei zu ergreifen, zieht die Regisseurin noch eine weitere Irritationsebene ein. Schon im raffinierten Eingangsvideo (Susanne Steinmassl) verschmelzen Bekim Latifi und Alexander Angeletta zu Josef K., und bald sieht man in einigen Szenen auch die vier Kolleginnen mit denselben roten Uniformen und schwarz gegelten Frisuren. Ein sechsfacher, männlich-weiblicher Held wie aus dem gendergerechten Klonlabor eines Science-Fiction-Films.

Der inhaltliche Mehrwert dieser Multiplikation bleibt wolkig – sind wir alle Josef/ine K.? –, doch die roboterhaft-rituelle Strenge des Sextetts passt immerhin zur frostigen Vorlage. Überhaupt entstehen die surrealen Momente bei Kafka ja gerade aus einer fast gefühllosen Nüchternheit. Und im Lauf des Abends zeigt sich da dann doch ein Widerspruch zu Karabuluts Theatertemperament. Letzteres darf sich vor Michela Flücks wechselnden Bühnenprospekten (sterile Büroflure, Gefängnismauer mit qualmendem Fenster, Saurier in Ruinen) doch noch austoben.

Klamauk in der Luft

Sind die vier Frauen gerade nicht Josef K., wühlen sie in Theresa Verghos Kostümfundus: Yvon Jansen trumpft etwa als geckenhafter Vize-Bankdirektor, Stöckelschuh-Onkel und schmerbäuchiger Kaufmann auf, Sabine Waibel mutiert vom kränkelnden Advokaten Huld zum farbenschrillen Maler Titorelli.

Lola Klamroth schafft derweil den Spagat zwischen der sinnlichen Leni (auch die gibt es dank Nicola Gründel doppelt) zum gestrengen Pfarrer. So schmissig all das auch gespielt ist — hier wird der kalte Kafka-Hauch zwischenzeitlich von heißer Klamauk-Luft verweht.

Doch die in Sprech- wie Musiktheater gefragte Regisseurin fängt den Geist der Vorlage schließlich wieder ein. Auch textlich bleibt sie diesmal sehr viel näher an der Vorlage als bei ihrer Kölner Shakespeare-Überschreibung „Richard Drei“. Während Josef K. noch Trost bei Frauen und Hilfe bei Ratgebern sucht, zieht sich die Schlinge um seinen Hals zu. Am Bühnenrand werden schon windschiefe Grabsteine platziert, und der Angeklagte erlebt seine Drahtseil-Himmelfahrt in eine (göttliche?) Hand.

In einer allzu langen Textpassage lotet Bekim Latifi die gespenstischen Paradoxien des Prozesses aus, darunter die gleichzeitige Notwendigkeit und Überflüssigkeit der Advokaten sowie die Unüberschaubarkeit der Beamtenhierarchie. Wenig später wird Titorelli erklären, dass er wirkliche Freisprüche noch nie erlebt habe.

Über die zwei Männer, die ihn dann abholen und in jenen Steinbruch schleppen, in dem sie ihn „wie einen Hund“ exekutieren, wundert sich der Delinquent fast schon nicht mehr. Karabulut lässt auch diese Szene mit verwischten Identitäten spielen und wählt als Finale die vorherige Episode: Josef Ks. Kirchgang, bei dem ihm der Gefängnispfarrer die Unschuld nicht glaubt. Nun ist Nicola Gründel der Angeklagte, der hilflos schreit: „Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein?“

Eisiger Hauch

Der Pfarrer antwortet mit einem der hermetischsten aller Kafka-Texte: der Geschichte von jenem Mann, der zeitlebens dem Gesetz fernblieb, weil er es nie wagte, am Türhüter vorbei durch jenen Eingang zu treten, der allein für ihn bestimmt war. Auch Josef K. hat seinen Prozess nie wirklich geführt, sondern sich dem scheinbar unangreifbaren System ergeben. Da war er dann wieder, der eisige Hauch in einer Inszenierung, die trotz mancher Irrwege doch noch zu Franz K. fand. Einhelliger Beifall.

Knapp zwei Stunden, wieder am 3., 5., 13.12 um 19.30 Uhr, 17.12., 18 Uhr. Karten-Tel.: (0221) 221 28400.