Premiere im Schauspiel KölnEffekthascherischer „Don Karlos“ enttäuscht
Köln – „23 Jahre und nichts für die Unsterblichkeit getan“ – der junge Mann hat es eilig. Und Jürgen Flimm setzt den Titelhelden in Friedrich Schillers „Don Karlos“, dessen Premiere am Freitag live aus dem Depot 1 des Kölner Schauspiels gestreamt wurde, gleich unter Starkstrom. Marek Harloff ist als spanischer Infant stets mit höchster Heftigkeit unterwegs, brüllend und barmend, stotternd und bebend.
Leider, und dies ist das Problem der ganzen Inszenierung, mündet solcher Hochdruck eher selten in glaubhafte Intensität. Karlos bleibt in all seinen amourösen wie politischen Attacken ein jämmerlicher Dilettant. Tragisch, dass die ihm einst als Braut versprochene Elisabeth von Valois dann ins Heiratsbeuteschema seines königlichen Vaters Philipp II. passte. Doch der Versuch, die „Mutter“ mit dem Schwert an der eigenen Brust zurückzuerobern, wirkt eher lächerlich.
Säulenwald ragt in leeren Himmel
Der in Sprech- wie Musiktheater versierte Regisseur (79) stellt Schillers „dramatisches Gedicht“ in historische Kostüme und einen opernhaften Rahmen. Dafür sorgt neben „Tristan“-Klängen schon der ihm aus Berliner Staatsopernzeiten vertraute Ausstatter George Tsypin. Dessen Säulenwald trägt kein Palastgewölbe, sondern ragt in einen leeren Himmel – ein symbolstarkes Bühnenbild.
Darin sind Großschablonen höfischer Gestalten eingelassen, die als Projektionsfläche für die Figuren, aber auch für Videos marschierender Heere oder Regengüsse dienen.
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Für visuelle Opulenz war Flimm schon als Kölner Intendant (1979 - 1985) berühmt. Und er hatte mit seinem berühmten „Faust“ wie auch der eindrucksvollen Abschiedsinszenierung von Schillers „Jungfrau von Orleans“ eine sichere Hand für Klassiker bewiesen. Nun also nach 35 Jahren wieder Schiller, und man hätte nur zu gern konstatiert, dass sich hier auch qualitativ ein Kreis schlösse.
Dass Regie und Dramaturgie große Abkürzungsschneisen in die Wortgebirge der Vorlage schlagen, bringt zweifellos einen Gewinn an Tempo. Doch die Verdichtung rückt gerade die Eifersuchtsszenen und Liebesintrigen, darunter Prinzessin Ebolis (Sophia Burtscher) erotischen Angriff auf Karlos, an den Rand der Kolportage.
Einziger Fels in der amourösen Brandung bleibt Elisabeth, der Melanie Kretschmann fast witwenhafte Strenge gibt. Bruno Cathomas als König wiederum erkennt in der Lust des verachteten Sohnes die eigene Verwundbarkeit: „Hier ist die Stelle, wo ich sterblich bin.“ Das Drama des (vermeintlich) Gehörnten überlagert das Porträt des Machtmenschen, der mit blutiger Konsequenz über sein Reich herrscht.
Melodramatischer Effekt statt psychologischer Nuance
Dennoch deutet Cathomas an, dass er diese Figur zwischen Härte und Schwäche ganz ausmessen könnte. Doch wenn sich Philipp aufs Gemälde von Frau und Tochter stürzen muss oder zur Selbstgeißelung niederkniet, siegt der melodramatische Effekt über die psychologische Nuance.
Steckbrief zum Stück
Die Inszenierung ist über die Homepage des Schauspiels Köln abrufbar.
Das Stück: Schiller verknüpft Liebesdrama, Vater-Sohn-Konflikt und politisches Ideenduell.
Die Inszenierung: Jürgen Flimm macht Druck, unter dem die Nuancen des Stücks leiden.
Das Ensemble: Folgt der Regie und lässt psychologische Finessen vermissen. (Wi.)
Die Tatsache, dass die professionelle WDR-Übertragung (TV-Regie: Ulrike Fuchs-Eitel) ja dank Wechsel von Totalen und Großaufnahmen auch leisere Töne begünstigt hätte, blieb offenbar unberücksichtigt.
Und die Politik? Gewiss, ob die flandrischen Provinzen unter spanischer Rache durch Herzog Alba (Jörg Ratjen) zu leiden haben oder in Freiheitsluft aufatmen dürfen, interessiert heute nicht mehr wirklich. Doch Schillers Stück, 1787 und somit zwei Jahre vor der Französischen Revolution uraufgeführt, stürzt sich ja auch mit flammendem Furor in die Debatte um Monarchenwillkür und bürgerliche Selbstbestimmung.
Dieser Strang gerät in Köln deutlich ins Hintertreffen. Gewiss, Marquis Posa (Nicolas Lehni) souffliert seinem Jugendfreund Karlos die aufrührerischen Ideen und verteidigt sie kühn gegenüber Philipp: „Geben Sie Gedankenfreiheit.“ Cathomas zeigt da sehr präzis, wie der König Posas Konzept ablehnt und doch diesen Mann schätzt, dem es eben nicht ums Erschleichen höfischer Gunst geht.
Im fast absurden Intrigenwirbel des Finales schrumpft dieses Ideenduell jedoch zur Fußnote. Wenn dann für Posa alles verloren und Karlos an die Kirche ausgeliefert ist, darf mit Ralph Morgenstern ein Veteran der Kölner Bühnenszene den grauslichen Inquisitor geben. Immerhin schließt sich dieser Kreis.