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Plattenkritik zu „30“Darum ist Adeles neues Album ein richtig großer Wurf

Lesezeit 4 Minuten
Adele farbig

Die britische Sängerin Adele 

Um es gleich vorweg zu nehmen: „30“ ist überhaupt nicht das Adele-Album, das man nach der ersten Single hätte erwarten können. Denn „Easy On Me“ ist ein melancholisches, ja trauriges, vom Piano und der Jahrhundertstimme der Künstlerin angetriebenes, zunehmend in den emotionalen Ausnahmezustand schwappendes Wehklagen über die nicht länger vorhandene Liebe zum Ex-Mann, gekoppelt an die Botschaft, es sich selbst vielleicht doch nicht gar so schrecklich schwer zu machen. Aber wie es nach diesem Gefühlsgigantismus weitergeht, das ist eine echte Überraschung.

120 Millionen verkaufte Alben

„30“ ist das vierte Album der Londonerin und erscheint am Freitag – nach „19“ (2008) dem Meisterwerk „21“ (2011) und dem auf Erfüllung der Fan-Erwartungen getrimmten „25“ (2015). 120 Millionen Alben hat sie verkauft.15 Grammys und einen Oscar (für den Bond-Song „Skyfall“) gewonnen. Und wenn am Ende des Jahres die Verkaufszahlen weltweit addiert werden, liegt sie wahrscheinlich vor ABBA. Das sind so die Dimension bei Adele.

Adele Adkins (33), seit Ende 2018 getrennt und mittlerweile geschieden vom langjährigen Partner Simon Konecki, Mutter des gemeinsamen Sohnes Angelo (9), ist ein richtig großer Wurf gelungen. Eben auch weil sie nicht den ganzen Käse, den das Leben ihr in der jüngeren Vergangenheit angerührt hat, in eine selbstmitleidige, lamentierende Tränendrüsenpianopathosballade nach der anderen gepackt hat. Stattdessen verwandelt sie ihre geballte Enttäuschung, ihre Schuldgefühle, ihren Frust über diese zugrunde gegangene Liebe in einen Haufen rasanter, vielschichtiger, teilweise hoch origineller, oft temporeich tanzbarer und geradezu euphorischer Songs.

Adele

Das neue Album „30“ erscheint am 19. November. 

Gut, in „My little love“, wie ungefähr die Hälfte der zwölf Song geschrieben und produziert mit ihrem Stammpartner Greg Kurstin, heult sie tatsächlich. Das Lied, stilistisch Kerzenschein-Spätabend-Jazz, eigentlich leichtfüßig und dann doch wieder nicht, beinhaltet gesprochene Satz-Schnipsel von Adele und Angelo. Im Prinzip erklärt sie hier ihrem Jungen in sechseinhalb Minuten, wieso sie nicht mehr mit seinem Daddy in einem Haus lebt (Konecki wohnt jetzt in Beverly Hills direkt gegenüber). Adele, deren Eltern sich trennten, als sie ein Kleinkind war, übernimmt hier für das Scheitern der Beziehung die Verantwortung. Wer will und in der Lage ist, auch steinreichen und supererfolgreichen Menschen Empathie entgegenzubringen, kann das herzzerreißend finden.

Ein fröhlicher Liebeskummer-Song, der mitreißt

Auf dem von Hip-Hop inspirierten, soulig-swingenden „Cry your heart out“, dem vielleicht fröhlichsten Liebeskummer-Song seit Jahrzehnten, gewinnt dann schon der Lebenstrotz die Oberhand. Durch „Oh My God“ (über einen One-Night-Stand, auch das kam vor in der jüngeren Vergangenheit) pumpen sogar richtige Beats, man will sich bewegen und fühlt sich an Beyoncés Hymne „Crazy In Love“ erinnert.

Im deutschen TV

Der MDR präsentiert ab 21. 11. die Sendung „One Night Only“ (mit Konzert und Oprah-Interview ) als Deutschlandpremiere in der ARD Mediathek. Am 4. 12. (23.40 Uhr) wird im Ersten und am 18. 12. (21.15 Uhr) im MDR zu sehen sein. (EB)

Überhaupt findet, wer sucht, Referenzen en Masse. Der 90er-Jahre-R’n’B einer Lauryn Hill trifft im zum lauthalsen Mitsingen gemachten „Can I get it“ auf George Michaels „Faith“ und ein paar Brit-Pop-nahe Gitarren. „Woman like me“ kommt der Eleganz einer Sade recht nah, und „Love is just a game“, eine schelmische und schamlos überschwängliche Retro-Hymne, hätte auch von Judy Garland sein können .

Doch selbst die sorglosesten und partyfröhlichsten Melodien können nicht verdecken, wie schlecht es Adele psychisch ging, als sie von Anfang 2019 bis Anfang 2020 diese Stücke schrieb – ohne Corona wäre „30“ schon vor einem Jahr rausgekommen. Beim Interview mit Oprah Winfrey erzählte sie, dass sie wochenlang fast ohne Unterbrechung im Bett blieb, depressiv und desillusioniert, von Ängsten und Selbstanklagen geschüttelt, nur noch für Angelo halbwegs funktionierend. Wie sie dann den Sport – und alsbald die innere Athletin – in sich entdeckte, immer öfter wandern ging, drei Mal täglich obsessiv trainierte und – ohne Diät, wie sie beteuert – über vierzig Kilo verlor. Und, das erfahren wir in der köstlich betitelten, hymnenhaften nächsten Single „I drink wine“, wie sie nach und nach unter den Trümmern der Trennung und inmitten tiefer Verzweiflung wiederfand, was sie verloren wähnte: sich selbst.

„30“, so sagte es Adele der englischen Vogue, ist die künstlerische Wiederaufbereitung eines Lebens, das mit 30 in seine Einzelteile zerfiel und langsam wieder zusammengefügt werden musste. „Ich will einfach nur geliebt werden und lieben in der reinsten Form“, schmettert sie in dem dramatisch zuspitzenden Power-Piano-Stück „To be loved“. Mit ihrem neuen Freund, dem Sportmanager und Spielerberater Rich Paul unternimmt sie diesbezüglich aktuell den nächsten Anlauf.