Auf der phil.Cologne plaudert Ex-Bild-Chef Kai Diekmann aus dem Nähkästchen namens Autobiografie.
Auf der Autobahn ausgesetztKai Diekmann erzählt von seinem ersten Interview mit Helmut Kohl
Dass die „BILD“ genauso viel mit Philosophie zu tun hat, wie die Kunst mit dem Kunstdünger, war wohl jedem klar, der am frühen Montagabend in die Comedia in der Südstadt gekommen war. Dort stellte Kai Diekmann seine Memoiren vor: „Ich war BILD - Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“.
Klar, drunter tut man’s nicht, wenn man 16 Jahre lang, von 2001 bis 2017, Europas auflagenstärkste Boulevardzeitung geleitet hat. Aber wer skandalträchtige Anekdoten oder gar weitere Enthüllungen aus dem „Maschinenraum“ der Medienmacht erwartet hat, wurde schnell enttäuscht.
Handzahmer Auftritt
Geradezu handzahm gab sich der 58-jährige Journalist, der im Kollegenkreis nicht nur bewundert, sondern auch gefürchtet und gehasst wurde. Aber diesen umstrittenen Menschen wollte uns sein Vor-namensvetter und Gesprächspartner Cai Werntgen auch gar nicht präsentieren. Der studierte Philosoph blieb ganz in der Marxschen Erkenntnis verhaftet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“
Und so ließ er sein Gegenüber munter drauflos schwadronieren. Schließlich sei es ja ein „Blind Date“ ohne Vorabsprachen, für das er sich brav bei Diekmann bedankte. Der nahm den Ball gekonnt auf und erzählet von seinen Interviewerfahrungen mit den Mächtigen dieser Welt: „Erstaunlicherweise haben sich die demokratischen Präsidenten immer total abgesichert, damit kein falscher Satz erscheint. Die Diktatoren sind dagegen eher lässig und ohne Rückversicherung in die Gespräche gegangen.“
Sonnenbrille bei der Bundeswehr
Nach diesem lehrreichen Entrée gab’s dann was zu lachen, als Diekmann auf seine Wehrdienst-Zeit zu sprechen kommt: „Da habe ich meine Vorgesetzten mit meiner Sonnenbrillen-Trageerlaubnis, die ich wegen eines Augenleidens bekommen habe, zur Weißglut gebracht.“
Auch seine erste Begegnung mit Helmut Kohl entbehrt nicht einer gewissen Komik: „Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union 1986 in Köln forderte mich der Kanzler nach dem allgemeinen Pressetermin auf, in seine Limousine zu steigen. Und ich hatte mein erstes bedeutendes Einzel-Interview!“ Dass Kohl den journalistischen Jungspund dann mitten auf der Autobahn zwischen Köln und Bonn auf dem Seitenstreifen abgesetzte, war dennoch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Kai Diekmann wurde später Trauzeuge von Helmut Kohl und umgekehrt.
Kein böses Wort über den mittlerweile verstorbenen Alt-Kanzler – und auch den mittlerweile zum Paria in der eigenen Partei gewordenen Gerhard Schröder sieht er mit mildem Blick: „Es hat mich sehr berührt, dass das Grab seines im 2. Weltkrieg in Rumänien gefallenen Vaters erst 2004 entdeckt wurde und er sich von ihm verabschieden konnte.“
Ausflüge in die aktuelle Politik oder die gegenwärtigen Verwerfungen im „BILD“-Imperium – von Julian Reichelt bis Mathias Döpfners „Ossi“-Beschimpfung – gestatteten sich die beiden Gesprächspartner nicht. Es ist ja auch lustiger, sich Putin nackt am Schwarzen Meer vorzustellen, wenn dieser Diekmann ins Wasser oder auf den Jet-Ski bittet.
Zukunft des Journalismus
Dann versuchte Werntgen doch noch einen Hauch von Philosophie ins Gespräch zu bringen und fragte Diekmann angesichts immer weiter fallender Print-Zahlen nach dem Journalismus der Zukunft.
Da outete sich Diekmann als überzeugter Optimist: „Egal ob Print oder digital, wer fragt Helene Fischer schon, wie viel Platten sie noch verkauft? Sehen Sie, zu meiner Zeit hatte die „BILD“ eine Auflage von über vier Millionen und zwölf Millionen Mitleser. Heute hat sie eine Auflage von ein Million und erreicht über digitale Kanäle 30 Millionen Menschen.“ Was für einige eher ein Katastrophen-Szenario ist – ist für Diekmann die Chance für die Zukunft.
Kai Diekmann: „Ich war BILD – Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“, Sachbuch, Deutsche Verlags-Anstalt, 544 S., 34 Euro.