Die phil.Cologne klingt mit dem Besuch des Buchautors und Bundespräsidenten Joachim Gauck aus.
phil.CologneJoachim Gauck verbreitet Zuversicht in Köln
„Ich bin eigentlich in Deutschland zuständig für Zuversicht“, verordnet sich Joachim Gauck selbst. Dennoch schreibt er in seinem neuen Buch „Erschütterungen“ über Bedrohliches und Bedrohungen, Extremismus und Verteidigung. Am letzten Abend des internationalen Philosophiefests phil.Cologne erläuterte der Bundespräsident a. D. in der Nippeser Kulturkirche seine Thesen und Ansichten zu Gefahren der liberalen westlichen Demokratie, speziell in Deutschland.
Auf der Bestsellerliste
Der im Mai erschienene Band ist bereits weit oben auf der Sachbuch-Bestsellerliste und musste also nicht wirklich vorgestellt werden. Gauck nutzte den Abend in Köln, um als „Elder Statesmen“ seine Einschätzung zum Stand des europäischen Demokratieprojekts zu geben. Gauck war von 2012 bis 2017 Bundespräsident, zudem 1990-2000 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, besser bekannt als „Gauck-Behörde“.
Zuvor war er Pastor in der DDR. Nun erlebt der 83-Jährige erneut eine Zeitenwende – die er zumindest dem äußeren Anschein nach - gelassen nimmt. Im feinen Anzug hat er im Sessel Platz genommen, liest mehr pro forma die erste Seite des Buches und geht dann gleich ganz frei sprechend auf den ersten Teil ein: Die Bedrohung der europäischen Demokratie von außen, speziell durch den russischen Imperialismus.
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Gauck gibt einen Exkurs auf die Geschichte der bundesrepublikanischen und gesamtdeutschen Ostpolitik. Er mahnt an, imperialistischen System nicht zu verständnisvoll zu begegnen und diese auch nicht zu unterschätzen. Gauck: „Gut gemeintes Wunschdenken kann so politikmächtig werden, dass wir uns nicht mehr angemessen verteidigen.“
Weltliche Predigt
Christliches Wohlmeinen alleine vermöge Politik nicht zu verändern. Apropos christlich: Der Abend wirkt über weite Strecken wie eine weltliche Predigt. Mit sonorer Stimme, großer Bühnenpräsenz, auch mal mit saloppen Einwürfen und direkter Publikumsansprache, alles über Jahrzehnte perfektioniert, fesselt Staatsmann die anwesende Zielgruppe der „politisch interessierten Leute aus dem Normalfeld der Bevölkerung“, so Gauck.
Griffige Sätze, eingängige Formulierungen bringen seine wohlbegründeten Mahnungen ins Ziel, live auf der Bühne wie im Buch. Der Kölner Journalist Joachim Frank ist als Moderator des Abends kaum mehr als Stichwortgeber und kämpft darum, überhaupt zu Wort zu kommen.
Parteien und Politiker bekommen ihr Fett weg, der Kölner Karneval sogar zweimal, obwohl wirklich niemand danach gefragt hat. Lobende Erwähnung bekommt dagegen die Publizistin Helga Hirsch, Rechercheurin und Ko-Autoren dieses und früherer Gauck-Bücher, langjährige Mitarbeiterin und – nicht erwähnt, aber bekannt – in den 90ern kurzjährige Lebensgefährtin Gaucks.
Ängste in der Krise
Zu den inneren Gefahren, beschrieben im zweiten Teil des Buchs, zählt Gauck Rassismus, eine „Subjektivierung des Politischen“ und „autoritäre Disposition“ Einzelner und ganzer Gruppen überall in Europa. Wer diese habe, dem sei Sicherheit wichtiger als Freiheit.
In Zeiten von Krise und starkem Wandel entstünden bei Menschen Ängste, was Populisten zum Aufstieg verhelfe – keine neue These, wie er selbst sagt. Populisten bedienten nur einzelne Interessen und stünden nicht für gemeinsame, unverrückbare Werte, und dies sei die Gefahr für die Demokratie.
Gaucks Betrachtungen und Analysen sind schärfer als seine Ausblicke. Die Zuwanderungspolitik sei zu besprechen und zu überdenken, sagt er, und: „Ich plädiere für humane Formen der Zurückweisung.“ Die Spaltung der Gesellschaft und die Schaffung eines, auch rassistisch begründeten „partikularistischen Weltmodells“ sei zu verhindern.
Wie das geht? „Die Leute brauchen ein Gefühl, bei sich selber zu Hause zu sein.“ Man benötige einen „aufgeklärten Patriotismus“, und müsse „miteinander im Gespräch“ bleiben, um Wandel gemeinsam zu gestalten und zu erleben. „Wir können Vielfalt“, betont Gauck bei aller Kritik an der Zuwanderungspolitik, „aber wir können auch Heimat“. Wenn das mal nicht zuversichtlich ist.
Joachim Gauck mit Helga Hirsch:“ Erschütterungen – Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht. Siedler, 240 Seiten, 24 Euro.