Angie Hiesl und Roland Kaiser laden in „Ausser_Ordentlich – Rückblick – Einblick – Ausblick“ zum Dialog.
Performance"Fat Facts" zwischen Schuhregalen
Ihr Auftritt als Lampe ist für Angie Hiesl auch bald 40 Jahre nach der Liveperformance „Du weißt, wann die Sonne in Ostende untergeht“ noch sehr gegenwärtig. Acht mal am Tag ließ sie sich an den Füßen von der Decke hängen, quasi wie der Kronleuchter über der Kaffeetafel. Die Szene war 1986 im Kölnischen Kunstverein zu sehen.
Und auch wenn das Foto aus dem hübsch-hässlichen Wohnzimmer mit Grünlilie, Teppichbrücken und Stehrömkes eine nostalgische Ausnahmeerscheinung in der aktuellen Produktion des Künstlerduos Angie Hiesl und Roland Kaiser ist, hat es für die Passanten oft ganz viel Wiedererkennungswert. In Großformat ist das Bild nun im Schaufenster des ehemaligen Schuhhauses Görtz an der Zeppelinstraße vis-à-vis des Olivandenhofs zu sehen.
Keine Nabelschau
Dort wird ab Donnerstagabend die intermediale Ausstellung „Ausser_Ordentlich – Rückblick – Einblick – Ausblick“zu sehen sein und für drei Wochen vier Jahrzehnte Performancekunst dokumentieren. Ausblick – darauf legen Hiesl und Kaiser viel Wert. Denn es soll keine Nabelschau ihres Lebenswerks sein, sondern sie laden ein zum Diskurs, zum Happening und Austausch auf einem pinkfarbenen Teppich, der schon fast als Angriff auf die Netzhaut gewertet werden darf.
Wird die Tristesse verwaister Ladenlokale nicht selten durch Kunstschauen kreativer Amateurmaler verschlimmbessert, erwartet die Besucher des seit Mitte 2023 leerstehenden Görtz-Geschäfts nun ein Aha-Erlebnis: Schuhregale, Modelabel, ja sogar die Piktogramme, die zum Lift weiterleiten, verströmen weiterhin den Geist der gehobeneren Schuhwaren.
Die sind aber fort. Stattdessen laufen Videos, die Hiesl und Kaiser unter anderen in Bangladesch gedreht haben. Sie zeigen Nähereien, in denen prekäre Arbeit geleistet wird. „Die Durchdringung ist uns wichtig“, sagt Hiesl. Interviews laufen informativ über den Bildschirm, lassen das eigene Konsumverhalten noch einmal reflektieren.
Bad in Zucker
Auf Einladung des Goethe-Instituts war das Künstlerduo mehrfach in Asien, wurde 2015 zu Bangladeschs erstem queeren Festival eingeladen, tauchte in die Lebenswirklichkeit der dortigen unterdrückten LGBTQ-Community und dokumentierte die aufflackernde Hoffnung auf mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Verständnis. Die wurde durch den Fundamentalismus aber schon sehr bald hinfällig. „Die Situation hat sich danach extrem verschärft, Schwule wurden im Jahr darauf ermordet“, sagt Hiesl. „Heute könnten wir gar nicht mehr drehen.“
Sie und Roland Kaiser schauen jedoch nicht nur in die Ferne, sondern sehr ortsbezogen auch auf das direkte Umfeld. So sind auf dem – in Zuckerpakete eingebetteten – Bildschirm Bilder der Performance „Fat Facts“ zu sehen, die 2017 am Apostelnkloster stattfand: Eine Frau füllt sich lustvoll eine Badewanne mit Zucker und schildert, welche Gehässigkeiten Dicken mitunter entgegenschlagen. Ausgrenzung von Menschen ist auch hier ein Thema.
Kuratiert haben Tasja Langenbach, künstlerische Leiterin der Videonale Bonn, und Kunstvermittlerin Annette Ziegert. Glücklich sind Hiesl und Kaiser, dass Filmemacher Florian Dedek, ehemaliger Chargesheimer-Stipendiat, ihre Arbeiten in den Blick nahm und aus einigen Beiträgen Neues machte.
Frische, Witz und spontaner Dialog zeichnet die Performances von Angie Hiesl und Roland Kaiser aus, die größtenteils im öffentlichen Raum stattfanden. So wie „Kachelhaut“ 1999 in München und 2000 in Köln. Unwirtlichen U-Bahn-Durchgängen entlockten sie lyrische Momente, frappierten dort durch Tanz auf Kunstrasen, ließen das Wasser über Treppen und über Böden laufen. Die Videos machen stutzig, aber auch Spaß.
Reizthema Stadtraum
Für Kaiser steht fest, dass Performances insbesondere nach der einsamen Corona-Zeit mehr denn je gefragt sind. Die direkte Beteiligung und Wahrnehmung und die Einbezogenheit sprächen Besucher aller Generationen an
Das Künstlerduo sieht es auch als Chance, über den Stadtraum zu diskutieren. „Das könnte eine schärferer Diskurs werden“, sagt Hiesl. Denn sie sei überzeugt, dass viele Kölner Bürgerinnen und Bürger etwas zur Verbesserung beitragen wollen. Bürokratische Hürden, die auch die Künstler zu spüren bekämen, dürften nicht abschrecken.
Bis 10. November, Do bis So 12-22 Uhr, Eintritt ist frei. Zeppelinstr. 4-8. Im Rahmenprogramm laden Angie Hiesl und Roland Kaiser bereits in der heutigen Vernissage, 19 Uhr, zur Performance. Gerno Bogumil macht Musik auf der Nirosta-Spüle. Freitag gibt es um 17 Uhr eine Dialogführung gemeinsam mit Stefan Kraus, Direktor des Kolumba. Sonntag, 17 Uhr , werden die Perforamtiven Künste in Archivprozessen beleuchtet. Am 31. Oktober und 7. November, je 18 Uhr, gibt es einen Public-Talk. am 3. November, 16 Uhr, treffen sich Performer zum Picknick. Am 8. November, 19 Uhr, sprechen Künstler zum Thema Performance im öffentlichen Raum.