Die Inszenierung durch Rafael R. Villalobos glänzte bei ihrer Premiere im Kölner Staatenhaus mit starken Performances, aufwendigen Kostümen und einem Bühnenbild, das an konstruktivistische Gemälde erinnert.
Opernpremiere in KölnHändels Orlando im Staatenhaus frenetisch gefeiert
Viel ist nicht über die Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Orlando“ überliefert. Aber dass im Januar 1733 im Londoner Haymarket Theatre neue Bühnenausstattung und Kostüme für Gesprächsstoff sorgten, ist durch die Quellen belegt. Neu war auch, dass der Komponist den Rahmen der konventionellen Opera seria sprenge, indem er die unverarbeiteten Gefühle der Protagonisten zum Ausdruck brachte, so dass sie in ihren Arien auf einmal ungekannte Ausdruckskraft und Individualität entwickelten.
In der Versenkung verschwunden
Es war der Beginn des melodramatischen Gesangs. Die Barockoper, beruhend auf einem Libretto von Carlo Sigismondo Capeche, griff damit den Werken Richard Wagners einiges voraus. Fast 200 Jahre verschwand „Orlando“ allerdings in der Versenkung, nachdem der Titelheld, Starkastrat Senesino, nach wenigen Aufführungen zur Konkurrenz wechselte.
Offenbar war der Interpret der Titelrolle unersetzlich, das Stück wurde abgesetzt und vergessen. Ebenfalls die Produktion des Festivals im spanischen Perelad war nach kurzer Zeit coronabedingt ausgebremst. Aber nun feierte die Inszenierung von Rafael R. Villalobos in Saal 2 des Staatenhauses Premiere.
Auch er greift zu ausgefallenen Kostümen, der Titelheld trägt Hose und Rock zugleich. Die schräg ansteigende Bühne, die durch Spiegel an der Decke auf das Geschehen noch einmal draufschauen lässt, erinnert an ein konstruktivistisches Gemälde. Passend zur geometrisch strengen, schwarz-grauen Ausstattung entwickelt das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Rubén Dubrovsky ein klanglich lebendiges Barockgemälde.
In kleiner Besetzung mit Lauten, Flöten und Cembalo vermittelt Händels Musik dabei Leichtigkeit. Doch der Schein trügt, denn die Solisten leisten allesamt Schwerstarbeit. Zumal Orlandos Part in höchsten Tonlagen stellt gewaltige Anforderungen an die Virtuosität und Ausdruckskraft des Protagonisten. Der katalanische Countertenor Xavier Sabata behält aber alle Fäden in der Hand und ist ein strahlender und auch tragischer Held.
Kompliziertes Beziehungsgeflecht
Unglücklich in die chinesische Prinzessin Angelica (Giulia Montanari) verliebt, gerät Orlando in den Widerstreit seiner Gefühle, die von Verzweiflung bis Wut reichen. Diesen sind die übrigen Protagonisten unweigerlich ausgesetzt. Angelica kann Orlandos Liebe nicht erwidern, da sie in Medoro (Adriana Bastidas-Gamboa) verliebt ist, ihn in „jeder Blume wiedersieht“. Den schönen jungen Mann, der in der Inszenierung keine weiblichen Züge kaschiert, liebt aber auch Hirtin Dorinda (Alina König Rannenberg).
Ist das Beziehungsgeflecht damit schon an sich kompliziert, setzt Villalobos noch einiges drauf. Der vielfach ausgezeichnete Regisseur belässt es nicht bei dieser Figurenkonstellation. Er greift in seiner Inszenierung durchgehend auf den gleichnamigen Roman von Virginia Woolf zurück. Diese wiederum zeichnete mit „Orlando“ ein literarisches Porträt ihrer Freundin Vita Sackville-West, die in wilder Liebe zur zwei Jahre jüngeren Violet Trefusis entflammt war.
Innerlich zerrissen war auch Sackville-West, als sie angedeutet bekam, Violet habe sich ihrem Gatten hingegeben. Das passte nicht zum Selbstbild der kühnen Eroberin.
Charaktere entstehen am Schreibtisch
Immer wieder gibt es Querverweise zu Woolfs Roman. Schreibtisch und Stuhl sind die einzigen Möbel auf der kargen Bühne. Von hier aus werden Charaktere entworfen und – die Papierfetzen auf der Bühne zeigen es —verworfen, von denen man nie so genau weiß, wie real sie sind.
Villalobos verweist auf die Geschichte der vergessenen Oper, die 1922 in Halle wiederaufgeführt wurde. Wenige Jahre später entstand Woolfs Roman. Es ist anzunehmen, dass die britische Autorin Händels Werk wahrgenommen hatte. Ihr Roman springt zwischen den Jahrhunderten, erwähnt klimatische Veränderungen — beispielsweise, dass die Themse zugefroren war – und fügt alles zu einem surrealen Bild.
Im Staatenhaus spiegeln sich solche Naturereignisse durch leise vorbeiziehende Impressionen von Wolken, Wind oder Regen wieder, die aber fern von Blitz- und Donnergetöse sind. Es lenkt also nichts von Händels Musik ab, der Zuhörer ist ganz bei den Sängern.
Diese ziehen im Zusammenspiel mit dem Orchester unweigerlich in ihren Bann. So singen zum Ende des ersten Aktes Angelica und Medoro bewegend im Trio mit Dorinda, um diese zu besänftigen, da sie über die unerfüllte Liebe zu Medoro untröstlich ist.
Liebeskrank in Wahn verfallen
Angelica lässt den liebeskranken Orlando seine Treue unter Beweis stellen, lässt ihn gegen Furien und Monster kämpfen, wohl in der Hoffnung, dass er untergeht. Was er auf seine Weise auch macht, denn er verfällt in Wahnsinn.
Das Happy End besorgt Zauberer Zoroastro (Gianluca Buratto), der immer wieder hinter der Bühne singt, erst am Ende auftritt. Er versetzt Orlando in heilenden Schlaf. Als dieser geläutert erwacht, vermag er die Wege der Liebe zu akzeptieren.
Zwei Stunden und 45 Minuten mit Pause, wieder am 20., 24., 26., 28. und 30. 11 sowie 4., 6., 8. und 12.12.