Das Leben als Social-Media-Event - schnell, bunt, durchgestylt, So inszeniert Paul Georg Dittrich die Oper "Der Zwerg" in Köln. Begeistert umjubelt bei der Premiere auch der zweite Teil des Abends: Strawinskys "Petruschka" mit dem fantastischen Ballet of Difference.
Opern-Premiere in KölnEine schrille Party wie für Instagram inszeniert
„Das Schönste ist scheußlich“, kündigt die Dienerschaft das beste Geburtstagsgeschenk an. Ob das wohl die eitle Prinzessin in ihrer bonbonbunten Welt überraschen kann? Herrlich zickig zeigt sich Sopranistin Kathrin Zukowski als Hauptperson an ihrem 18. Geburtstag, an dem die Oper „Der Zwerg“ spielt. Aufgehübscht und aufgerüscht feiert sie eine instagramable Party. Das Publikum in der Oper Köln gehört zu den Gästen, denn die Bühne läuft als weißer Laufsteg längst durch den Saal und die Tribüne hinauf. Wer vorne sitzt, darf Bilder von Geschenken hochhalten oder für ein Foto posieren, das auf übergroßen Ballons projiziert wird.
Schon vor 100 Jahren begeisterte Alexander Zemlinskys Oper „Der Zwerg“ in Köln „jung und alt“, wie in einer Videocollage vor Beginn zu sehen ist. Das Werk wurde am 28. Mai 1922 unter Otto Klemperer in Köln uraufgeführt, damals wie jetzt kombiniert mit Igor Strawinskys Ballett „Petruschka“ als zweitem Teil des Abends. Feiern ist bisweilen nur scheinbar heiter, so auch im „Zwerg“, der in der Regie von Paul-Georg Dittrich in eine hedonistische Albtraumversion der Gegenwart versetzt ist. Die zentralen Themen Oberflächlichkeit und Realitätsverweigerung passen im Zeitalter der Insta-Filter und Selbstoptimierung sogar noch besser als bei der Uraufführung.
Ein leibhaftiger Zwerg ist das spektakulärste Geschenk für die Prinzessin und wird als grässlich hässlich angekündigt. In der artifiziellen Zuckerbäcker-Welt, die das Ausstattungs-Duo Pia Dederichs und Lena Schmidt zusammengestellt hat, genügt es zur Abscheulichkeit, dass der Zwerg in Gestalt von Tenor Burkhardt Fritz ein gewöhnlicher Mann im schwarzen Anzug ist. Ein Normalo wird zum Unhold, wenn sich ästhetische Konventionen verschieben und wir alle als Publikum dabei zusehen.
Die Eiskonfekt-Prinzessin und ihr böses Spiel mit dem Zwerg
Musikalisch steht Dirigent Lawrence Renes vor der Herausforderung, dass er zwar vor dem Gürzenich-Orchester steht, das gesamte Bühnengeschehen aber hinter seinem Rücken stattfindet. Die Einsätze für die Sängerinnen und Sänger kommen von der Assistenz, der Chorleiter sitzt an einem der Tische im Publikum. Durch den Laufsteg ergeben sich ungewohnte Höreindrücke, da sich der Zusammenklang von Sängern und Sängerinnen mit dem Orchester verändert. Lawrence Renes leitete souverän und präzise, das Gürzenich-Orchester spielt Zemlinsky und Strawinsky mit Schmackes und Wärme.
Kathrin Zukowski ist mit kalt funkelndem Sopran auch stimmlich eine Eiskonfekt-Prinzessin, die ihr böses Spiel mit dem Zwerg treibt, das auch die empathische Zofe (Claudia Rohrbach) nicht verhindert. Unbeabsichtigt schlecht bei Stimme ist Burkhardt Fritz, dem in entscheidenden Passagen der Gesang entgleitet (was ihn hinter der Bühne arg den Kopf hängen lässt). Dennoch singt und spielt er die Partie mit viel Gefühl zu Ende und stirbt einen dramatischen Tod, als er seine „Hässlichkeit“ erkennt und bemerkt, dass er sich – nicht vor Eitelkeit gefeit – die Liebe der Prinzessin nur eingebildet hat.
Ein Mann tanzt elegant die Ballerina im modernen Tutu und auf Spitze
Der Abend hinterfragt auch im zweiten Teil gewohnte Ästhetiken. Richard Siegal arbeitete erstmalig für die Oper Köln und choreographierte das Ballett für die Aufführung. Die Tänzer und Tänzerinnen des Ballet of Difference am Schauspiel Köln bringen es mit rasanten Auf- und Abgängen auf die Bühne. Die Ausstattung zitiert mit weißen Riesen-Ballons und Laufsteg den ersten Teil. Die Geschichte von drei tanzenden Puppen auf dem Jahrmarkt ist abstrahiert und traditionelle Geschlechterzuschreibungen aus dem Ballett sind aufgelöst. Long Zou (ein Mann) tanzt klassisch elegant und kraftvoll die Ballerina im modernen Tutu und auf der Spitze. Margarida Isabel de Abreu Neto (eine Frau) ist Petruschka, der „Hässliche“, androgyn in grüner Latzhose und gymnastisch sportlich.
Der Soldat (im Original der „Mohr“) in Gestalt von Nicolás Martinéz harmoniert mit traditioneller Virilität mit der Ballerina. Wie im ersten Teil geht es nicht um körperliche Begierden, sondern um Zugehörigkeit. Petruschkas Bewegungen fügen sich nicht in die der anderen ein, die Figur wirbelt die Gruppe durcheinander, stört das Paar, fordert ihren Platz und findet ihn doch nicht. Compagnie und Choreographie begeistern. Dass der starke Abend auch ausgesprochen unterhaltsam ist, endet trotz der Entertainment-Kritik nicht in Amüsement-Scham, und anders als die Partygäste der Prinzessin verwandelt sich das Publikum auch nicht in eine Monster-Gesellschaft.
Der Zwerg/Petruschka, ca. 150 Min. (1 Pause), wieder am 27.11., 20.50 Uhr; 30.11., 18.50 Uhr; 4.12., 18.50 Uhr sowie am 6., 8., 10.12, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon: 0221/221 28 400