In der Philharmonie begeisterte das Gürzenich-Orchester mit Bernd Alois Zimmermanns Oper "Die Soldaten"
Oper szenisch"Die Soldaten" begeistern in der Philharmonie
Hart knallen die Gürtelschnallen auf den Boden, ein andres Mal liegt der Stahlhelm wie ein Rugbyball in der Armbeuge – darauf wird penetrant mit dem Esslöffel gehämmert. Zimperlich und leise ist in Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ niemand der 121 Musiker, 23 Solisten und 18 Chorleute. Angelegt als Orgie der Gewalt ist sie aber eine der ersten pazifistischen Opern überhaupt.
Großaufgebot der Instrumente
Im instrumentalen Großaufgebot vermittelte das Gürzenich-Orchester diese Botschaft in der Philharmonie nun mit virtuosem, eindrücklichem Spiel. Und was die Sänger unter der Regie von Calixto Bieito in der halbszenischen Darstellung auf eng bemessener Bühne auf den Rängen über dem Podium leisteten, ging unter die Haut.
Generalmusikdirektor François-Xavier Roth hat die Fäden in der Hand. Er tanzt, stoppt abrupt, um in neuer Sequenz am wundersamen Klangkosmos zu weben. Der rüttelt durch schräge Töne auf, besänftigt zuweilen aber auch durch kammermusikalische Feinheit.
Sie sollte nicht schlechter ausgerüstet sein als ein Weltraumschiff, erklärte Zimmermann in seinem Aufsatz zur Zukunft der Oper. Wie ernst es dem Komponisten damit war, dürfte 1957 niemand geahnt haben, als die Stadt Köln dem damals 39-jährigen Komponisten den mit geizigen 10 000 Mark bezahlten Auftrag für ein neues Musiktheater gab. In der mit Geburtswehen verbundenen Oper in vier Akten nach dem Schauspiel des Stürmer-und-Drängers Jakob Michael Reinhold Lenz war alles so neu, dass sie zuerst den Stempel „unspielbar“ erhielt. Zimmermanns Tochter Bettina spricht gar von einer „Tätowierung“ des Makels.
Spätestens seit der Aufführung 2018 ist das Gürzenich-Orchester mit der Neuen Musik vertraut. Ein Marathon ist das Spiel trotzdem, und Roth hatte immer nur für einen winzigen Moment Zeit, sich über die Stirn zu wischen. Die sphärische Beleuchtung im Saal ließ ihn dabei zuweilen an Captain Kirk erinnern.
Auf der „Reling“ des Schiffs durchlief Emily Hindrichs in der Rolle der Marie alle Pein von der verliebten Bürgerstochter bis zur Soldatenhure. Zynisch der „Edelmann“ Desportes (Martin Koch), der die Tochter des Galanteriehändlers Wesener (Tómas Tómasson) erst für sich gewinnt, um sie dann auf den Müllberg der Beziehungen zu werfen.
Grabschende Gräfin
Auch der Sohn der Gräfin de la Roche verliebt sich in Marie. Die Mutter will sie in ihr Haus aufnehmen, um sie vor den Offizieren zu schützen und ihren Sohn vor Fehltritten zu bewahren. Aber die liebeshungrige Gräfin will auch grapschen. Es wird gehurt, gepeitscht, und Zimmermann lässt es in seiner Tonkunst tüchtig krachen. Maries Verlobten Stolzius (Nikolay Borchev) reißt Graf Desportes gleich mit ins Verderben — immerhin rächt sich dieser durch Vergiftung des Rivalen und richtet sich selbst zugrunde.
Die Gleichzeitigkeit des Geschehens ist im Plot eine Herausforderung. Schon Lenz verwob in dem Drama von 1776 den Wunsch nach sozialem Aufstieg zu einer Art totalem Theater. Bei Zimmermann gipfelt das in der „atomaren Apokalypse“. Ein gewaltiges Rauschen geht durch die Philharmonie, mit Fantasie lässt sich die riesige Deckenbeleuchtung als Atompilz deuten.
Die Musik enthält Zitate aus vielen Epochen: Der Bach-Choral kommt vor, Jazz und Elektronik. In der deutschen Nachkriegsmusik nimmt Zimmermann mit dem pluralistischen Komponieren verschiedenster Techniken und Stile eine Schlüsselposition ein. Mittlerweile sind Musiker und Publikum — anders als zur Uraufführung 1965– aufgeschlossen. Eigentlich ist die Oper für alle Sänger zu hoch angelegt. In den extremen Lagen wirkt es eher wie Schreien als Singen. Damit machte Zimmermann die brutale physische und seelische Vergewaltigung hörbar. Er selbst litt als Soldat im Zweiten Weltkrieg, kam mit giftigen Substanzen in Berührung, die ihn später erblinden ließen. Das trieb ihn 52-jährig in den Selbstmord.
Verrohung durch den Krieg
Die Verrohung, die der Krieg mit sich bringt, wurde im Nachkriegsdeutschland verdrängt. Mutig zeigte Zimmermann in seiner Musik, was für ein äußerst fragiles Phänomen die Menschlichkeit ist. Rotz und Rüpelhaftes, Gruppendynamik und männliche Initiationsriten gewinnen die Oberhand – Herrenchor und Extrachor der Oper mimen solche Brüllaffen im Stimmentheater exzellent. Zielscheibe der Kameraden sind Hauptmann Pirzel (John Heuzenroeder) und Feldprediger Einsenhardt (Oliver Zwarg), die vergebens gegen die Hooligans steuern.
Warum es keine Wiederholung der vielgelobten Inszenierung von 2018 im Staatenhaus gibt, darüber rätselten im Publikum einige. Die Sitznachbarin aus Bonn oder später der Radfahrer auf dem Bahnsteig erinnerten sich an das Gefühl, auf Drehstühlen platziert den Blick im szenischen Rund frei schweifen zu lassen. Unvergessen die Bebilderung von Carlus Padrissa und seiner Theatergruppe „La fura dels Baus“.
Doch wirkt die konzertante Aufführung nicht abgespeckt. Sie ist einfach nur grundlegend anders angelegt: Bieito holt aus minimalen Möglichkeiten das Maximum. Da wird auf Sitzlehnen balanciert, durch die Saaltüren sticht gleißendes Licht, und die schauspielerischen Fähigkeiten der Sänger überraschen. Hauptdarsteller ist aber das Orchester. Die Philharmonien von Köln, Paris und Hamburg arbeiten zusammen „Die Soldaten„ gehen auf Tournee, für Zimmermanns hochaktuelle Oper ist das nur gut.
Wieder 28. 1. Philharmonie de Paris.