Oper KölnGürzenich-Orchester brilliert in Humperdincks „Hänsel und Gretel“

Vom Knusperhäuschen magisch angezogen: Hänsel (Anna Lucia Richter) und Gretel (Kathrin Zukowski)
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Köln – Figuren aus leckerem Lebkuchen haben wohl heute ausgedient, große Kinderaugen benötigen mindestens einen Schokoladenbrunnen. Deshalb pulsieren die Süßwaren am Knusperhaus, um Hänsel und Gretel in die Falle zu locken, wie eine Werbung der Zuckerindustrie. Die Kölner Oper hat den Weihnachtsklassiker von Engelbert Humperdinck optisch sanft aufgefrischt und musikalisch tadellos präsentiert.
Wie auf einem Tablett sitzt in der stets wechselnden Bühnenkonzeption im geräumigen Staatenhaus das große Orchester vor der Szene. Generalmusikdirektor François-Xavier Roth hat die Märchenmusik und die sängerische Umsetzung zur Chefsache erklärt. Jedes Geschehen im Orchester lässt sich so wie im Konzert genau beobachten, Klang wogt von den einleitenden Hörnern bis zur krachenden Perkussionsabteilung von links nach rechts wie beim Tennisspiel.
Direkter Draht zur Bühne
Und dass die Musik des Rheinländers Humperdinck die zentrale Zurschaustellung verdient, das lässt sich beim vergnüglich musizierenden Gürzenich-Orchester leicht erkennen. Entsprechend direkt ist auch der Draht zur Bühne, was nicht unwichtig ist, denn die Partitur verlangt im flotten Dialog der Figuren hochpräzise Koordination.
Regisseurin Béatrice Lachaussée bewegt ihre Crew unentwegt, hat extra einen Laufsteg am Tribünenrand installieren lassen, um dem – bei Märchen üblich – teilweise sehr jungen Publikum das Ensemble praktisch vor die Nase zu führen. Sie hat ihren Spielort (Bühne und Kostüme: Dominique Wiesbauer) ins Schaustellergeschäft verlegt, ein heruntergekommenes Dreamland am Rande der Stadt, Schrottplatzromantik mit zerdeppertem Autoscooter.
Wesentlich belebender und prägnanter als solche sozialen Anspielungen fallen die Video-Applikationen von Grégoire Pont aus, die mit gemalten Tierwesen und herrlichen Komikfiguren auch mal ein staunendes Raunen in die Kinderwelt zaubern. Ganz wunderbar gelingt eine intergalaktische Sternenfahrt als Traumszene, in der Roth sein Orchester aufschäumen lässt und sich Bild und Ton beseelen, ein Sinnbild für die Geschwisterliebe zwischen Hänsel und Gretel.
Kölns neuer Mezzo-Star Anna Lucia Richter überzeugte
Zur Premiere sangen Kathrin Zukowski die Gretel und Anna Lucia Richter den Hänsel. Gerade in Kombination mit den hyperaktiv bewegten Rollen bot das Paar ein anspruchsvolles Dauerduett. Sehr gut gefiel Kölns neuer Mezzo-Star Anna Lucia Richter, die erstmals in dieser Hosenrolle herumtollen durfte. Die Geschwister sorgten aber auch rein musikalisch für sehr anregende Momente.
Das Stück
Das Stück: Seit bald 130 Jahren ziehen das Märchen und seine Hits Kinder und Erwachsene in ihren Bann.
Die Regie: Eingriffe wie der Stiefmutter-Effekt oder die Traumreise würzen die mild restaurierte Spielhandlung.
Die Musik: Vor und auf der Bühne wurde schon zur Premiere hochrangig musiziert: ein permanentes Trainingscamp für den GMD und seine Crew. (ow)
Maßkonfektioniert saß die Besenbinder-Rolle Peter dem Haus-Star Miljenko Turk, der beschwipst und nüchtern als Stimm- und Stimmungskanone vertraut markant Bühnenpräsenz zeigte. Turk gilt als wandlungsfähiger Selbstläufer, was auch diese Rolle bestätigte. Stiefmutter Judith Thielsen, Peters neue Frau, verblasste leicht als Giftspritze im Haushalt – was von der Grand Dame Dalia Schaechter als Hexenmeisterin nicht behauptet werden kann.
Sie regierte und zauberte mit einer gigantischen Zuckerstange in ihrer „amazing zone“, eine würdig autoritäre Hexe mit Knusperhexenhäuschenhut. Betörend schön fiel der Auftritt des Sandmännchens aus. Ye Eun Choi träufelte von einem magischen Balkon den Kindern den Schlafsand in die Augen. Da musste einiges auch über die Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik geweht sein, die sangen wie unter Drogen nach ihrer Verwandlung.
Doch dieser somnambule Stammelgesang wich nach Hänsels kurzem Wink mit dem Zauberstab, und die Kinderstimmen jubilierten entsprechend frisch und frei im Happy End.
Es hätten einige Kinder mehr sein dürfen für eine Volksszene für Kinder. Wahrscheinlich grüßte dabei das aktuelle und notwendige Infektionsschutzgesetz, das sich ja bei den Chören besonders effektiv zersetzend auswirkt. Die kleinen und großen Zuschauer ertrampelten einige Vorhänge, aber gerade durch das aufgeräumte Schlussbild blieb die Begeisterung nur freundlich – vielleicht so dezent und milde wie die Erneuerung an diesem altgedienten Klassiker des heimischen Komponisten.
Zwei Stunden mit Pause, wieder am 21.,22. 12. um 11 Uhr, 23. und 29. um 19.30 Uhr, 26. um 16 Uhr, 31. um 18 Uhr. Weitere Termine im Januar. Karten-Tel.: 0221/ 221 28 400.