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Oper BonnBeim „singenden Teufel“ regiert der Wahnsinn - und das Rätsel

Lesezeit 4 Minuten
Franz Schreker „Der Singende Teufel“ in der Oper Bonn mit Mirko Roschkowski und Anne-Fleur Werner.

Franz Schreker "Der Singende Teufel" in der Oper Bonn mit Mirko Roschkowski und Anne-Fleur Werner.

An der Oper Bonn wird Franz Schrekers „Der singende Teufel“ aufgeführt und besticht vor allem durch textklare Sänger.

Der Teufel ist „das Gespenst mit den weißen Zähnen“ – eine magische Orgel. Ihre besonderen silbrigen Pfeifen treiben Menschen in den Wahnsinn, bringen innere Mauern zum Einsturz, erzeugen Furcht, Schaudern, Demut. Soviel ist an diesem Abend in der Oper Bonn klar.

Kloster angezündet

Der Rest sind Rätsel. Ist der Orgelbauer, der dieses Instrument in einem Kloster errichtet, wirklich selbst Mönch, oder verfällt der Handwerker während des Auftrags in religiösen Wahn? Kämpfe zwischen Heiden und Mönchen Hat er das Instrument gar nicht gebaut, sondern erleidet er eine psychotische Episode, die seine Frau zu durchbrechen versucht, indem sie das benachbarte Kloster samt Orgel anzündet?

Sind wir hier wirklich im Mittelalter und geht es um Kämpfe zwischen Heiden und Mönchen, oder verhandeln wir in den 1920ern Nietzsches „Gott ist tot“ im Angesicht von Volksfrömmigkeit? Die Handlung von Franz Schrekers Oper „Der singende Teufel“ flirrt wie die Luft in den silbrigen Orgelpfeifen der hohen Register.

Der Chor raunt es in den letzten Sekunden aus dem düsteren Off: „… ewig bleibt’s ein Rätselraten“, und es bleibt sogar offen, welche die ultimative „ew’ge bange“ Frage ist. Kritiker und Besucher der Berliner Uraufführung 1928 hat dies frustriert, und auch die Musik Schrekers gefiel damals nicht – reduzierter und kantiger als in seinen vorherigen, sehr erfolgreichen Werken. Die abendfüllende Oper landete bald im Archiv, Schrekers Musik wurde im Nationalsozialismus als „entartet“ gebrandmarkt, auch die anderen Werke verschwanden von den Bühnen. Während gerade in jüngster Zeit Schrekers Opern „Der ferne Klang“ und „Die Gezeichneten“ wieder erklingen, hat sich lange Zeit kein Haus an den „Singenden Teufel“ gewagt.

Erinnerung an Andreas K. W. Meyer

Bonns Operndirektor Andreas K. W. Meyer trieb die Wiederentdeckung nun mit viel Elan voran – und starb überraschend nur wenige Wochen vor der spektakulären Premiere. Sie ist also auch eine Erinnerung an den Theatermacher Meyer, der Schreker hier mit allen Mitteln des Hauses eine Bühne bot und die erste ungekürzte Produktion seit der Uraufführung wagte.

Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan dirigiert das Orchester präzise und bringt die Musik als Erzähler und Kommentator ins Geschehen ein. Immer wieder haben in der Komposition einzelne Instrumente etwas zu sagen oder zu erklären. Schreker greift Stilmittel der Filmmusiken seiner Zeit auf, zitiert aber ebenso Wagner, schwelgt in Spätromantik und illustriert die Massenszenen mit vielfarbigen, rauschhaften Passagen, die kraftvoll aus dem Graben aufsteigen.

Das Libretto hat er wie immer selbst geschrieben und dabei einen auch zu seiner Zeit altertümlichen Sprachduktus gewählt. Die Musik ist packend, effektvoll und kurzweilig. Mirko Roschkowski als Orgelbauer und Anne-Fleur Werner als seine Gefährtin Lilian sind als zentrale Figuren stark besetzt und glänzen textklar in den schweren Partien. Das große Ensemble tritt gesanglich durchweg stark auf; gemeinsam, bei den Soli und faszinierend mit einem wörtlich genommenen Bewegungschor.

Regisseurin Julia Burbach und Ausstatter Dirk Hofacker haben Schrekers mittelalterliches Setting bewusst abstrahiert, geben damit weitere Rätsel auf und eröffnen verschiedene Sichtweisen. Zugleich unterhalten sie mit buntem Getümmel, mit Feuerkugel, riesigen Orgelpfeifen und -Manual. Ein Tanzensemble verkörpert in Lack und Leder die Heidenwelt und, weiter gedacht, die Begierden und Lüste – oder noch weiter gedacht stets aktive Unterbewusstsein des seelisch gequälten Orgelbauers.

Innerer Konflikt

Es ist nicht zwingend, aber schlüssig, die Oper in dieser Produktion als seinen inneren Konflikt zu lesen, den hemmungslosen Ritter von Fraß etwa als sein Alter Ego und den finsteren Pater als sein Über-Ich zu verstehen; die Heidenpriesterin Alardis (Dshamila Kaiser) mit ihrem Gefolge als Natur, zu wilder Musik feiernd, und den Abt (Tobias Schabel) mit den Mönchen als in finsterem Gestühl eingekeilte Kultur, in sinnlosen Bewegungsritualen und hohlen Chorälen erstarrt. Oder ist es doch ganz anders? Ist der nach der Pause über Papierfelsen heranwandernde Pilger nicht auch ein kleiner Teufel? Oder ist er die Vernunft?

Das exzellente Bonner Programmbuch, inklusive Libretto, bietet Schlüssel zu Franz Schreker und in Verbindung mit der Aufführung Stoff für intensive Gespräche beim Nach-Opern-Getränk. Das Rätselhafte des Werkes ließ es bei der Uraufführung scheitern, hier ist genau dies der Keim des Erfolgs.

260 Minuten (inkl. Pause), wieder am 24.5., 19.30 Uhr; 28.5. 18 Uhr; 8.6., 16 Uhr; 10.6., 16.6., 1930 Uhr. Karten-Tel.: 0228 / 77 80 08.