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Serie

Norbert Rodenkirchen
Mit der Flöte die Sage vom Rattenfänger erforscht

Lesezeit 4 Minuten
Der Flötist Norbert Rodenkirchen.

Der Flötist Norbert Rodenkirchen.

In unserer kleinen Serie „Schon einmal gehört?“ stellen wir Exoten und ihre Geschichten vor. Mit Norbert Rodenkirchen sprach Jan Sting über die Traversflöte.

Bei Plattenfirmen rennt Norbert Rodenkirchen nicht immer offenen Türen ein. Wiederholt hat sich der Flötist, der sich der Musik des Mittelalters genauso wie der Neuen Improvisationsmusik widmet, eine Abfuhr eingehandelt, wenn er ein Projekt vorschlug.

Magische Klänge

Vor zwölf Jahren war es einmal ganz anders: Im Gespräch mit einem Musikproduzenten hatte er vom geheimnisvollen Flötenspieler erzählt, dessen Musik er klanglich erforschen wolle. Damit hatte wiederum er einen Fang gemacht. Auf einmal musste es beim Label „Christopherus“, das seinen Schwerpunkt auf der Geistlichen Musik hat, ganz schnell gehen. „Alle wollten die magischen Klänge vom Rattenfänger. Sie wollten die Story haben“, erklärt Rodenkirchen. Er benutzte verschiedene mittelalterliche Traversflöten und startete damit den Versuch, den Auszug des Pfeifers, der der Sage nach 1284 die Kinder aus der Stadt Hameln mit der Musik weglockte, aus der Sicht der Early Music zu betrachten.

Das ist sein Metier, er ist Vorstand des zamus, des Zentrums für Alte Musik. Meistens spielt er die mittelalterliche Traversflöte. Auf alten Bildern sähen die Modelle fast identisch aus. Meistens gab es sechs Löcher, und die Flöten waren zylindrisch angelegt. Da es kaum historisch überlieferte Instrumente gibt, bewegt sich Rodenkirchen in einem hypothetischen Feld . Und Experimentierfreude ist für ihn eine Grundvoraussetzung, um sich den Geheimnissen alter, aber nicht immer schriftlich tradierter Klangkunst zu nähern.

So auch bei der Sage, die ihm so viel Erfolg einbrachte. Was für Lieder könnte der Rattenfänger gespielt haben? „Ich finde die Geschichte gar nicht so harmlos“, sagt Rodenkirchen. „Weil wir ja gar nicht wissen, was das für ein Typ war. Ob das eher so ein Michael Jackson war oder ein Krimineller. Das wissen die auch in Hameln nicht.“ Dorthin fährt er regelmäßig, verhalf er mit seiner Musik doch der Stadt in Niedersachsen dazu, dass die UNESCO-Kommission sie mit ihrer stadtprägenden Sage ins Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes aufnahm. Zu einem seiner Konzerte gratulierte ihm sogar Ian Anderson, Frontman der Band Jethro Tull.

Anwerbung zur Auswanderung

Jüngste Forschungen deuten darauf hin, dass es sich beim Rattenfänger wahrscheinlich um einen flöte-spielenden Landwerber handelte, der vom Adel aus den Gebieten südlich der Ostseeküste beauftragt wurde, junge Familien zur Auswanderung in diese Gebiete zu bewegen. „Es lässt sich eben nachweisen, dass es zu dieser Zeit eine riesige Auswanderungswelle gab, weil im slawischen und baltischen Raum Arbeitskräfte gebraucht wurden“, sagt Rodenkirchen.

Später habe es mehrere Pestzeiten gegeben. Im 15. und 16. Jahrhundert traten mehrere Erzählungen auf, demnach ein Rattenfänger in eine Stadt gekommen war, und man ihn für seine Arbeit nicht bezahlt hatte. „Dann hat er die Ratten einfach wieder in die Stadt zurückgeführt. Und diese Gruselgeschichte und die Geschichte aus Hameln verknüpfen sich irgendwie.“ Rodenkirchen machte sich auf die Suche nach musikalischen Quellen mit engem regionalen und zeitlichen Bezug zur Geschichte des Hamelner Flötenspielers. Fündig wurde er bei den Melodien des Fürsten Wizlaw III. von Rügen aus dem späten 13. Jahrhundert und seines Lehrers, des so genannten „Unghelarten“, ergänzt durch altslawische Tänze aus Nord-Polen und weitere Melodien deutscher Minnesänger.

Diese Vorbilder nutzte er für seine mittelalterliche Improvisation von Melodien, die vom Rattenfänger selbst hätten gespielt worden sein können. „Ich bin zwar kein Tiefenpsychologe, aber der Rattenfänger hat quasi über die Tiere Macht wie ein Schamane. Aber gleichzeitig auch über die Kinder, und niemand weiß, ist das jetzt ein Guter oder ist das so ein Ork wie aus dem Herrn der Ringe? Auf jeden Fall ist es eine ambivalente Figur, und der traut man diese magischen Klänge zu.“

Mit seinem Ensemble Sequentia ist Norbert Rodenkirchen am 22. August, 19.30 Uhr zu Gast in der Abteikirche in Brauweiler. Sie tauchen in das reiche Repertoire zumeist weltlicher Gesänge des 11. Jahrhundert ein, welche zur Zeit der Brauweiler Abteigründung in deutschen Kloster- und Domschulen komponiert wurden.