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Neuer Thriller von John GrishamWas taugt die Fortsetzung von „Die Firma“?

Lesezeit 4 Minuten
US-Autor John Grisham schreibt seit Anfang der 1990er Jahre Erfolgsbücher.

US-Autor John Grisham schreibt seit Anfang der 1990er Jahre Erfolgsbücher.

„Die Entführung“: Beststeller-Autor John Grisham schreibt 33 Jahre nach „Die Firma“ eine Fortsetzung.

Sein Debütroman „A Time to Kill“ floppte 1989 kläglich. Kein Wunder, dass John Grishams zweites Werk keinen Verlag fand, bis ein Story-Scout das Manuskript in Hollywood anbot und einen 600 000-Dollar-Vertrag mit Paramount erzielte.

Doubleday übernahm prompt die Veröffentlichung, und „Die Firma“ wurde 1991 zu einem der spektakulärsten Karriere-Kickstarter überhaupt. Danach schrieb der gelernte Anwalt Jahr für Jahr Bestseller: 48 Bücher nacheinander führten die Hitliste der „New York Times“ an. Tatsächlich setzte „Die Firma“ den Goldstandard des Justizthrillers.

Der Kleinstadtjunge

Die packende Geschichte des Kleinstadtjungen Mitch McDeere aus Kentucky, der in Harvard eins der besten Jura-Examen ablegt, unter hochdotierten Jobs wählen kann – und die falsche Entscheidung trifft. Bendini, Lambert & Locke in Memphis entpuppt sich unter familiärem Deckmantel nicht nur als knallharte Ausbeuterkanzlei, sondern wäscht Geld der Chicagoer Mafia. Bald fürchten Mitch und seine Frau Abby um ihr Leben, verraten die korrupten Anwälte ans FBI und fliehen in letzter Sekunde in die Karibik.

Während Hollywood seinen Blockbustern in hektischer Folge Sequels und Prequels gönnt, ließ sich John Grisham für die Fortsetzung seines ersten Hits 33 Jahre Zeit. Für Mitch, nun 41, und Abby sind freilich nur 15 Jahre vergangen, die sie auf den Caymans, in der Toskana und in London recht angenehm verbracht haben.

Der Nobelanwalt

Wenn „Die Entführung“ beginnt, ist McDeere Vater von achtjährigen Zwillingssöhnen und in New York Partner der weltgrößten Anwaltskanzlei Scully & Pershing. Kleiner Bonus: ein spektakulärer Büroblick auf Battery Park und Hudson River. Willkommen zurück bei den Besserverdienern, zumal die Gattin als Kochbuchlektorin ebenfalls gut im Geschäft ist.

Einmal schickt Grisham seinen Helden noch ins Schattenreich der Vergangenheit, doch die bange Rückkehr nach Memphis setzt nur eine folgenlose Milieuduftmarke. Die Maßanzug-Schurken der alten Firma bleiben verschollen, und der Chicago-Mob hat freundlicherweise sein Interesse an Mitch verloren.

Statt dessen ein neues exotisches Mandat: Als Gefallen für den todkranken römischen Kollegen Luca Sandroni soll Mitch dessen Fall einer türkischen Baufirma übernehmen, die Libyens Regierung auf 400 Millionen Dollar verklagt. Ein größenwahnsinniges Brückenprojekt von Gaddafi im Nirgendwo der Wüste ist zum Finanzfiasko eskaliert.

Kettensägen-Sadismus

Auf Wunsch von Luca reist seine ebenso schöne wie juristisch exzellente Tochter Giovanna mit und wird gleich zu Beginn von arabischen Warlords entführt. Lösegeldforderung: 100 Millionen Dollar. Grisham illustriert den Ernst der Lage ungewohnt drastisch mit dem Kettensägen-Sadismus der Geiselgangster gegenüber chancenlosen Personenschützern.

Mitch freilich, in der „Firma“-Verfilmung von Tom Cruise verkörpert, verfällt nun keineswegs in dessen Actionkaskaden von „Mission Impossible“. Im Gegenteil, er mutiert vom Anwalt zu einer Art Schatzmeister, der für die gekidnappte Doppelstaatsbürgerin bei den Regierungen Italiens und Englands sowie Libyens Geldquellen anzapft.

Der amerikanische Autor lässt uns mit zeitraubender Akkuratesse an der Mühsal des Unterfangens teilhaben, wobei es dem Protagonisten bei all den Krisensitzungen und geheimen Arbeitsessen an nichts fehlt.

Verflachung des Charakters

Schöner Wohnen (etwa im Hotel Hassler an Roms Spanischer Treppe), besser Reisen („Mitch brauchte die Beinfreiheit der Business Class“) und feiner Schmecken – ein Barolo hier, ein Chablis dort. Mit der Verfeinerung des Geschmacks geht leider eine Verflachung des Charakters einher.

Der zwischen Aufstiegssucht und Skrupeln strauchelnde Zauberlehrling ist zum glatten Erfolgsgaranten mutiert – in eigener Sache wie für den guten Zweck. Wobei allein Abby bis zum Finale in der Medina von Marrakesch gefährlichen Kontakt mit den Entführern hält…

Eiskalte Profitmaschine

An Giovannas Martyrium zeigt der Roman kaum Interesse, wirft aber immerhin wieder Schlaglichter aufs Geschäft der Großkanzleien. Mag Scully & Pershing sein Image auch mit Gratis-Mandaten für Notleidende aufhübschen, so entlarvt Mitch das Unternehmen letztlich als eiskalte Profitmaschine.

Da weht ein Hauch jenes kritischen Geistes durch die Seiten, der „Die Firma“ so faszinierend machte. Leider bleibt dies der einzige Kreis, der sich zwischen brillantem Vorbild und blasser Fortsetzung schließt.

John Grisham: Die Entführung. Roman, Aus dem amerikanischen Englisch von Imke Walsh-Araya und Bea Reiter. Heyne, 384 S., 24 Euro.