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Neuer RomanSteffen Kopetzky liefert ein schillerndes Porträt der „Madonna der Revolution“

Lesezeit 3 Minuten
Autor Steffen Kopetzky.

Autor Steffen Kopetzky

Steffen Kopetzky taucht in seinem neuen Roman „Damenopfer“ in die Geschichte der Revolutionärin Larissa Reissner

Quicklebendig und provokant steht sie im August 1922 vor unseren Augen: Larissa Reissner, Gattin des versoffenen russischen Botschafters, die in den Aprikosengärten von Kabul bittere Prawda-Artikel gegen den „verfetteten“ englischen Imperialismus schreibt.

Geheimpläne

Passenderweise stößt die Schöne mit dem kastanienbraunen Haar auf Geheimpläne des deutschen Offiziers Oskar Niedermayer, der Afghanistan als jenen Hebel sieht, um Indien vom britischen Joch zu befreien. Im Malaria-Fieber halluziniert sie schon die Entscheidungsschlachten auf den Hindukusch-Pässen herbei. Man ist sogleich mitgerissen von der Heldin in Steffen Kopetzkys neuem Roman „Damenopfer“.

Doch schon im zweiten Kapitel zerhacken die Totengräber im Februar 1926 den gefrorenen Moskauer Friedhofsboden, der die Leiche der gerade Dreißigjährigen aufnimmt. Ein weiteres Opfer der Typhus-Epidemie. Zunächst irritiert diese dramaturgische Staustufe, doch fortan schneidet der Autor wie ein versierter Regisseur Nachruhm und lebendige Rückblende ineinander.

So entsteht das schillernde Mosaik einer formatsprengenden Frau. Larissa Reissner ist wie die anderen Figuren keine Erfindung, obwohl sie beinahe so wirkt: deutsch-russische Schriftstellerin und Reporterin, einerseits mitten im kulturellen Aufbuchssturm ihrer Zeit von Maxim Gorki und Ossip Mandelstam umschwärmt, andererseits von revolutionärer Tatkraft.

Die glühende Bolschewikin und Kommissarin der Wolgaflottille schaffte es im russischen Bürgerkrieg, die zerrissene Front der Roten Armee wieder zusammenzuflicken. Sie kannte Lenin und Trotzki und sollte 1923 auch die deutsche Revolution dirigieren. Doch obwohl an Rhein und Ruhr nur Inflation und Arbeitslosigkeit blühten, blieb der Aufruhr bis auf ein Hamburger Strohfeuer aus. Kabul, Moskau, Leningrad, Leipzig und Berlin – der historische Roman beschwört alle Schauplätze plastisch herauf.

Rastlose Weltverbesserin

Hier ein Blick in den Salon der Lyrikerin Anna Achmatowa, mit deren Mann auch Larissa schlief, dort eine explosive Datscha-Lesung von Michail Bulgakow. Und in einer Wannsee-Villa bringt Reissner den endlich aufgespürten Niedermayer mit dem „roten Napoleon“ General Tuchatschewski zusammen, auf dass beide eine geheime deutsch-russische Militär-Allianz schmieden. Wie schon in den Vorgänger-Werken „Risiko“, „Propaganda“ und „Monschau“ haucht der 1971 geborene Schriftsteller all diesen Figuren glaubhaftes Leben ein.

Er beschwört bildmächtig schäbigste wie nobelste Milieus, während er den Roman zwischen recherchierter Zeitgeschichte und Privatem in Balance hält. Schließlich war die „Madonna der Revolution“ nicht nur eine elegante Schachspielerin mit dem „Damenopfer“ als Lieblingsmanöver, sondern eine femme fatale. Ihren russischen Mann tauschte sie bald gegen den deutschen Autor und Politiker Karl Radek ein, doch auch mit Niedermayer und Tuchatschewski gab es mehr als strategische Treffen. Die zartesten Bande knüpft Kopetzky freilich zwischen Reissner und ihrer Lieblingscousine Tania, die Larissas Sohn als ihr eigenes Kind aufnimmt.

Die rastlose Weltverbesserin träumt indessen von der „Befreiung des Planeten“, sieht aber Vorboten der nächsten Weltenbrände. Auf einem Geheimtreffen in Schwanenwerder proklamiert Arthur Moeller van den Bruck das Dritte Reich, während ein russischer Kontrahent „die Urkräfte Asiens“ entfesseln will.

„Menschliche Stichflamme“

Larissa Reissner wird das nicht mehr erleben, doch Boris Pasternak ruft ihr am Grab nach: „Für einen Augenblick lebendig brennend/ War deine Herrlichkeit im Sturmwind aufgeflackert…“ Diese menschliche Stichflamme brennt sich dem Leser ins Gedächtnis, denn kaum jemand kann Geschichte so bezwingend vergegenwärtigen wie dieser Autor.


Steffen Kopetzky: Damenopfer. Roman, Rowohlt Berlin, 443 S., 26. E.

Für Rowohlt ist Steffen Kopetzky aus Pfaffenhofen an der Ilm der „Autor des Monats“. Zeitgleich mit „Damenopfer“ erscheint die neue Taschenbuchausgabe seines Romans „Grand Tour oder Die Nacht der großen Complication“ (rororo, 680 S., 15 Euro). Das Werk von 2002 entführt ins Innenleben komplizierter Uhren wie ins Liniennetz der Nachtexpresszüge, in kriminelle Intrigen und erotische Scharaden. Kölner Lesung am „Tag der Schiene“, 15.9., 18 Uhr, DEVK, Riehler Str. 190.