Bevor Shao-Lan Hertel am 1. Juli ihre Arbeit als Direktorin des Museums für Ostasiatische Kunst aufnimmt, sprach die 41-Jährige mit der Rundschau über ihre Visionen für das MOK und die Geschichte ihrer Familie.
Neue Direktorin im InterviewSo kann das Museum für Ostasiatische Kunst wieder strahlen
Noch einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Job!
Vielen, vielen Dank!
Richtig glauben, können Sie es noch nicht, oder?
So wie man die Realität immer in Frage stellen kann. Ich habe häufiger Momente, in denen ich mich frage, ist das jetzt gerade echt? Auch jenseits des Jobs – das Leben gibt einem immer wieder Momente, alles zu hinterfragen. Das Team erstmals bei einer persönlichen Vorstellung und vor Ort kennengelernt zu haben, trägt nun wesentlich dazu bei, der neuen Stelle mehr Realität zu verleihen.
Auf was freuen Sie sich am meisten beim neuen Job?
Auf die Arbeit in einem dynamischen Netzwerk von Menschen, die im Grunde genommen gleichgesinnt – und genauso motiviert sind. Und das museumsintern, deutschlandweit und international.
Und wovor haben Sie Manschetten?
Das MOK ist wie jedes Haus vorbelastet – hier sind es zum Beispiel die Personalsituation oder die notwendigen Sanierungen. Wenn dieses Haus weiterhin als „Juwel“ der Kölner Museumslandschaft bezeichnet werden soll, will ich daran mitarbeiten, die adäquaten Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Ihre Vorgängerin Adele Schlombs hinterlässt große Fußstapfen.
Das ist richtig – aber nicht nur sie. Ich möchte ganz stark auf die Fundamente bauen, die sie und ihre Vorgängerinnen und Vorgänger geschaffen haben. Darauf fußend will ich versuchen, den Anschluss zu finden zu einer Generation, die jünger ist als ich. Ihre Sprache und ihr Denken müssen wir verstehen lernen – denn sie werden zukünftig dieses Museum leiten. Und das geht nur, indem man sie involviert.
Wie kann das konkret aussehen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Sichtbarkeit des Museums zu intensivieren. Es fängt bei der digitalen Präsenz, der Website an – und die ist ausbaufähig. Weitere wichtige Anliegen stellen der systematische Ausbau des zeitgenössischen Sammlungsbestandes sowie die Förderung künstlerischen Nachwuchses dar, unter anderem in multimedialer Form etwa in Verbindung mit Klang, Lichtkunst, Film und Installation.
Könnten Sie mit dem jetzigen Etat Ihre Ideen umsetzen? Oder müssten Sie mehr Geld bekommen?
Das ist ein Wechselspiel. Meine Agenda ist noch nicht festgeschrieben. Ab 1. Juli werde ich mit jeder und jedem im Team sprechen – nicht nur um Kaffee zu trinken, sondern um genau zu verstehen, wo wird was benötigt, um sinnvoll Prioritäten für die kommenden fünf Jahre setzen zu können. Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto mehr kann umgesetzt werden.
Ihr Nachname klingt deutsch, ist der Vorname chinesisch?
Mein Vater hat eine deutsche Herkunft, meine Mutter eine chinesische – wobei es nicht so einfach ist. Sie gehört zu einer großen Population einer Nachfolgegeneration, deren Eltern gebürtige Chinesen waren, aber im Zuge von Migrationswellen Anfang des letzten Jahrhunderts China verlassen haben. Meine Mutter wurde in Indonesien geboren. Dort haben sich feste Communities gebildet, die unter anderem eigene Kulturen und Dialekte entwickelt hat. Und so sehe ich mich in Bezug auf dieses Museum als Mittlerin.
Wie ist das zu verstehen?
Als Kind habe ich immer wieder unter rassistischen Witzen gelitten, auch darunter, ausgegrenzt zu sein und nicht hier, nicht da richtig „zu Hause“ zu sein. Jetzt denke ich, dass ich Brücken bauen kann – zwischen Kulturen, Generationen, aber auch zwischen denen, die sich mit traditioneller Kunst identifizieren und denen, die dies mit zeitgenössischer Kunst tun. Gerade diese Trennung im Kunstdiskurs halte ich für problematisch. Ich will zeigen, wie sehr beides inhärent miteinander verwoben ist.
Hat „sich zwischen den Welten zu fühlen“ Sie dazu bewogen, Sinologie und Ostasiatische Kunstgeschichte zu studieren?
Da gab es bewusste und unbewusste Faktoren. Zum einen wollte ich das für mich unbekannte Land verstehen, mit dem sich meine Familie identifiziert hat, obwohl sie teilweise nie nicht dort gelebt hat. Und das Chinesische verkörpert eine Komplexität, die schwer vergleichbar ist mit anderen Sprachen. Über die Sprache wollte ich die Kultur für mich greifbarer machen.
Stichwort Brücken: Die Beziehungen zwischen Europa und China stehen derzeit nicht zum Besten. Wo sehen Sie da Ihre Position und die des MOK?
Mit diesem Aspekt habe ich mich ganz dezidiert beworben. Institutionelle und individuelle Verbindungen, die sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre lokal und global aufgebaut haben, können nun mit neuen Perspektiven synergetisch involviert werden – ebenso wie neue Kollaborationen und Netzwerke geschaffen. Es gibt durchaus an vielen Museen in China das große Bedürfnis, nach Corona gerade die Verbindungen international zu reaktivieren. Es gibt viel zu besprechen und zu tun.
Sehen Sie die Möglichkeit, dass sich Europa und China wieder näherkommen?
Definitiv, und da leistet der Kulturaustausch einen maßgeblichen Beitrag. Es wird spannend, bestehende Kooperationen weiterzuführen und nach neuen zu suchen, die einen Dialog ermöglichen – um dabei gemeinsam Ideen zu entwickeln. Aber ich sehe natürlich auch die Hindernisse, die es zu überwinden gilt.
Die kommenden Ausstellungen
Auch wenn Shao-Lan Hertel am 1. Juli im MOK antritt, steht das seit langem vorbereitete Ausstellungsprogramm für die kommenden Monate natürlich schon fest. Ab 20. Juni ist eine Neupräsentation der Sammlung der Japan-Bestände zu sehen. Unter dem Motto „Kunst ist das Programm“ widmet man sich abv 16. September des jüdischen Kunsthistoriker Alfred Salmony, der ab 1925 stellvertretender Direktor des MOK war und 1933 von den Nazis entlassen wurde. Für Oktober/November ist eine „Netsuke-Ausstellung“ geplant. Ab 16. November dreht sich dann alles um chinesische buddhistische Skulpturen.