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Mörderjagd über den WolkenDie Thriller-Serie „Red Eye“ hält sechs Folgen lang in Bann

Lesezeit 3 Minuten
Dr. Matthew Nolan (Richard Armitage) DC Hana Li (Jing Lusi)

Der Gefangene und seine Wächterin: Richard Armitage und Jing Lusi.

„Red Eye“-Schöpfer Peter Dowling schrieb auch das Drehbuch zu Jodie Fosters Thriller „Flightplan – Ohne jede Spur“.

„Nehmen Sie einen Drink und beruhigen Sie sich!“ Doch davon ist Dr. Matthew Nolan (Richard Armitage) in der ITV-Serie „Red Eye“ (jetzt in Lizenz bei Netflix) weit entfernt.

Eigentlich sollte der britische Arzt nur auf einem Kongress in Peking einen Vortrag halten. Doch stattdessen landet er nach einem Empfang in einem Club, wo er unter Drogen gesetzt und zusammengeschlagen wird. Das Auto, in dem er flüchtet, fährt er zu Schrott – und rettet sich auf einen Rückflug nach London. In Heathrow wird er nach der Landung von Ordnungskräften festgesetzt und direkt nach Peking zurück verfrachtet: In seinem Auto ist die Leiche einer jungen Frau gefunden worden.

Die junge Londoner Polizistin Hana Li (Jing Lusi) soll den Gefangenen begleiten, ebenfalls an Bord sind Kollegen und Freunde von Nolan, die mit ihm auf dem Kongress waren und nun ihrerseits in der chinesischen Hauptstadt befragt werden sollen. Denn die Tote ist die Tochter eines hohen Partei-Mitgliedes. Dann stirbt ein Mitreisender, dem Nolan sein veganes Essen abgegeben hatte. Und er bleibt nicht das einzige Todesopfer an Bord ...

Löcher in der Geschichte

Die Suche nach einem Mörder in einem in sich geschlossenen Raum, einem von der Außenwelt isolierten Ort hat Tradition. Auch in Flugzeugen wurden schon mehrfach ermittelt, so schrieb „Red Eye“-Schöpfer Peter Dowling auch das Drehbuch zu Jodie Fosters Thriller „Flightplan – Ohne jede Spur“ (2005).

Seine neue Serie reichert er mit einer Spionage-Ebene an, auf der sich amerikanisches, chinesisches und britisches Geheimdienst-Personal (großartig: Lesley Sharp als MI-5-Chefin Madeline Delaney) mal an die Gurgel, mal an die Wäsche gehen. Dabei werden die üblichen Zutaten rund um interne oder internationale Intrigen, Stichwort „nukleare Energie“, bisweilen so derbe geschüttelt und nicht gerührt, dass die Story schon mal gehörig über den Rand des Nachvollziehbaren oder Schlüssigen schwappt – und das gleich in der ersten Folge: Wieso stand Nolans Leihwagen fahrbereit vor dem Club? Wie ist er vom Unfallort zu seinem Luxus-Hotel gekommen – wo niemand vom Personal bemerkt hat, dass er blutende Schnittverletzung hat?

Auch im Weiteren der insgesamt sechs Folgen fragt man sich oft nach der Motivation der einzelnen Figuren: Warum vertraut wer wem und dann auf einmal wieder nicht mehr? Warum muss Nolan mal Handschellen tragen und dann plötzlich nicht mehr? Und weshalb kann ein praktizierender Arzt wie er so versiert ein Flugzeug durchsuchen? Selbstredend kann man in einer solchen Räuber-Pistole von Agentengeschichte niemandem trauen, noch nicht einmal mal der Hauptfigur.

Zuschauerzahl stieg bei Erstausstrahlung an

Und gerade Richard Armitage (Thorin Eichenschild in „Der Hobbit“) spielt hier mit umwerfender Uneindeutigkeit. Die Film- und Fernsehgeschichte hat uns schließlich gelehrt, dass jemand, der so harmlos aus seinem bequemen Sitz in der Business-Class herausschaut, doch irgendwas auf dem Kerbholz haben müsste. So forscht man in den kurzen Blicken, die er DC Li zuwirft, beobachtet seine Körpersprache, die zwischen lässiger Selbstverständlichkeit und irritierender Überforderung hin- und herswitcht.

Bei all den offenen Fragen oder kruden Wendungen, auch das lehrt die Historie: Löcher im Plot schützen vor Spannung nicht. Schon bei der Erstausstrahlung im englischen Fernsehen stieg die Zuschauerzahl von Folge zu Folge, trotz zum Teil durchwachsener Kritiken.

Die Fallstricke der Story lässt man gern außer Acht, die Handlung hält beim Zuschauen hart an der Kandare und lässt bis zu den letzten Minuten nicht locker. Wieso kommt man ohne Kontrolle in den Garten der chinesischen Botschaft in London? Ach egal, warum soll nur einer der vielen Spione in diese Falle tappen?

„Red Eye“, sechs Folgen, je rund 47 Minuten, bei Netflix.