„Mölln 92/22“ im SchauspielTheaterstück arbeitet Nazi-Anschlag in Mölln auf
Köln – Bahide Arslan. Yeliz Arslan. Ayșe Yılmaz. Drei Namen, ein grauenhaftes Schicksal: In der Nacht zum 23. November 1992 starben in Mölln die 51-jährige Großmutter, ihre 10-jährige Enkelin und eine 14 Jahre alte Cousine, nachdem zwei Neonazis Brandsätze in ihr Haus geworfen hatten. Neun weitere Menschen wurden schwer verletzt. 20 Jahre danach beschäftigt sich Nuran David Calis im Schauspiel Köln mit den Geschehnissen vor und nach der Tat.
Per Videos kommen Überlebende des Anschlags zu Wort
Calis geht dabei ähnlich vor, wie bei „Die Lücke“, seinem Stück von 2014 über das Nagelbombenattentat in der Keupstraße: Drei Schauspieler auf der Bühne (Kristin Steffen, Ismail Deniz und Stefko Hanushevsky) beleuchten das Thema, in Kombination mit Einspielfilmen, in denen allen voran die überlebenden Mitglieder der Familie Arslan zu Wort kommen.
Auf einen Blick
Das Stück erzählt vom Brandanschlag auf die Familie Arslan und dessen Auswirkungen bis heute.
Die Regie erhebt bisweilen ihren moralischen Zeigefinger zu sehr. Andererseits: Was ist zu sehr?
Das Ensemble agiert engagiert und ehrlich erzürnt – verständlicherweise . (HLL)
Und ihren Geschichten kann all der intellektuelle Furor, der zuvor und danach entfacht wird, kaum etwas entgegensetzen: Wenn Yeliz’ Mutter erzählt, dass Deutschland für sie das Land ist, wo sie ihr Kind verloren hat. Oder ihr jüngerer Sohn Namik davon spricht, dass er Therapie machen müsse – die Mutter sprang mit ihm aus dem zweiten Stock (und brach sich dabei das Becken). Oder der ältere Sohn Ibrahim, der nur überlebte, weil seine Großmutter ihn in nasse Bettlaken wickelte. Heute ist er der Sprecher der Familie, den vor allem umtreibt, dass die Stadt Mölln – von offizieller Seite, aber auch von der Bevölkerung – sich dem gemeinsamen Gedenken verschlösse.
Und so läuft es dem Zuschauer kalt über den Rücken, als schließlich die Namen von Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayșe Yılmaz vielfach in das Bühnenbild hineinprojiziert werden.
Namen der Opfer werden auf das Bühnenbild projiziert
Als theatrales Mittel ist das plakativ, wirkt aber weniger aufgesetzt als die auf die Lider geschminkten Augen der Darsteller oder deren bisweilen abgezirkelten Bewegungen. Oder ihr schematisches Wechseln auf verschiedene Positionen im Bühnenbild, in dessen Mittelpunkt ein drehbarer Kubus steht, in dem ein Kinderzimmer nachgebaut wurde.
Natürlich muss der Brandanschlag in einen größeren Rahmen gesetzt werden, um zu sehen, wo die Motivation zu einer solchen Gräueltat ihren Ursprung hat. Und wer jenseits des Täternetzwerkes einen Betrag leistet. Calis und sein Team benennen Botho Strauß als einen solchen geistigen Brandstifter.
Der Dramatiker hatte kurz nach dem Anschlag, im „Spiegel“ den sprachlich hyperkomplexen und inhaltlich umstrittenen Essay „Anschwellende Bocksgesänge“ veröffentlicht, aus dem Calis nun Bruchstücke zitieren und von den Darstellern in der Luft zerreißen lässt.
Aber auch Helmut Kohl wird eingereiht, der der Trauerfeier fernblieb, was sein Sprecher damit erklärte, dass man nicht in einen Beileidstourismus verfallen wolle. Das Wort schaffte es seinerzeit in die engere Auswahl für das Unwort des Jahres.
Alles andere als ein normaler Theaterabend
Nun gut, man könnte sagen, da hat sich ein Intellektueller vergaloppiert und Kohl einen weiteren Fettnapf nicht nur ins Visier genommen. Aber was ist mit den mehreren hundert Beileidsbekundungen, die die Familie Arslan damals nicht erreichten. Wie sie vor drei Jahren erfuhren, landete die Post im Archiv von Mölln.
Und weil das alles so unvorstellbar ist, stellt sich nicht die Frage, ob dies ein Theaterabend ist. Das ist er allerspätestens dann nicht mehr, als das Stück praktisch unterbrochen und Ibrahim und Namik live auf der Bühne befragt werden. Sie sind zusammen mit vielen Familienmitgliedern zur Premiere gekommen.
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„Erinnern heißt nicht versöhnen, erinnern heißt stören“, sagt Stefko Hanushevsky zum Schluss des Stücks. Das ist das Motto, unter dem die Familie Arslan dafür sorgt, dass das Schicksal ihrer drei Angehörigen präsent bleibt. Und das ist auch das Motto, unter dem Nuran David Calis die Thematik mit ihren vielen Facetten auf die Theaterbühne bringt. Gemeinsam wurden sie dafür bei der Premiere in Köln frenetisch bejubelt.
Nun könnte man einwenden, dies sei „preaching to the converted“, ein „offene Türen Einrennen“ bei all denen, die bereits überzeugt sind. Aber auch hierauf hat der Abend eine Antwort, wenn Ismail Deniz sagt: „Die Rechten aber, die beschäftigen sich mit diesem Thema, und zwar aktiv und rege, und deswegen rücken sie in den Vordergrund. Und irgendwann übernehmen sie das Ruder.“
100 Minuten (keine Pause). Wieder am 21. und 23.4, jeweils 20 Uhr.