AboAbonnieren

Schreiben als LebensartMartin Walser ist im Alter von 96 Jahren verstorben

Lesezeit 5 Minuten
Der Schriftsteller Martin Walser ist tot.

Der Schriftsteller Martin Walser ist tot.

Zum Tod des Schriftstellers Martin Walser, für den Literatur immer ein Entblößungs-Verbergungsspiel war

"Das Sterben hat jetzt angefangen“, heißt es in Martin Walsers Buch „Spätdienst“, mit dem er sich 2018 selbst ein Requiem geschrieben hat. „Ich widme mich meinem Zerfall, ich feiere mein Vergehen.“ Mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht, umspielten diese betörenden Prosagedichte den Tod, gerade so, als wolle der damals 91-Jährige nicht daran glauben. Das Schreiben allein hielt ihn noch in der Welt.

Gegen Wirklichkeit gewappnet

Mit einer Mauer aus Wörtern wollte er sich gegen jede Art der Wirklichkeit wappnen. So wie er das immer getan hatte in seinem Leben. „Ich hänge an mir. Ich gebe mich so ungern auf. Ich weiß es jetzt, ich hoffe noch auf mich.“ Nun ist einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Nachkriegs-Schriftstellergeneration im Alter von 96 Jahren gestorben, wie die FAZ zuerst berichtete.

Oft schieden sich die Geister an diesem Mann. Die einen verehrten ihn. Von anderen wurde er gescholten. Nicht zuletzt, weil der „Großschriftsteller vom Bodensee“, wie er gerne genannt wurde, seinen eigenen Kopf hatte und immer klar Stellung bezog.

Schon bei seiner Abiturfeier nahm der 1927 als Sohn eines Bahnhofswirtes und Kohlenhändlers in Wasserburg geborene Walser seine Lehrer in einem 120-strophigen Langgedicht aufs Korn, so dass der Rektor danach das Kollegium noch einmal einberufen musste, weil er diesem Schüler den Abschluss gleich wieder aberkennen wollte, da er ja augenscheinlich noch nicht „reif“ sei.

Seit er als Bub „Robinson Crusoe“ gelesen hatte, gab es für Walser nur noch Literatur. Später als 18-Jähriger im Kriegsgefangenenlager, fiel er einem amerikanischen Offizier auf, weil er immer las, und durfte sich (statt Panzer zu waschen) um die Bibliothek kümmern. „Ich habe mich Abseits gehalten und war der Einzige, der keine Läuse hatte.“

Treffen mit Gruppe 47

Zurück aus dem Krieg studierte Walser Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er nahm an Treffen der Gruppe 47 teil, lernte Ehefrau Käthe kennen und das Werk von Franz Kafka, über das er seine Dissertation schrieb. „Das war’s, danach waren alle literarischen Lektüren entwertet“, sagt er später. Seine Arbeit beim Süddeutschen Rundfunk gab er auf, um Schriftsteller zu werden. Die Tantiemen für den ersten Roman „Ehen in Philippsburg“ (1957) brachte er stolz der Mutter, um zu beweisen, dass man auch vom Schreiben leben kann. Romane wie „Halbzeit“ (1960) und das Theaterstück „Eiche und Angora“ (1962) machten ihn zur Stimme seiner Generation.

Walser sympathisierte mit der DKP und engagierte sich gegen den Vietnam-Krieg. Als er sich sein Haus in Nußdorf am Bodensee kaufte, hatte er deswegen Skrupel. Ein Linker mit Seegrundstück, das ging gar nicht. Beim Bürgermeister fragte er an, ob man denn nicht einen öffentlichen Uferweg anlegen könne? Damit alle was davon haben? Das aber brachte ihm Ärger mit den Nachbarn, die ihren Seeblick nicht durch Spaziergänger verstellt wissen wollten.

Mit Käthe diskutierte er sogar über einen Umzug. Soweit kam es nicht. Mit Ehefrau und seinen vier Töchtern Franziska, Johanna, Alissa und Theresia führte er ein Leben am See, das dem in „Ein fliehendes Pferd“ (1978), seinem berühmtesten Roman, der auch verfilmt wurde, nicht unähnlich gewesen sein dürfte.

"Wunde Deutschland"

Schreiben war für ihn immer ein „Entblößungs- und Verbergungsspiel“, wie er 2016 in einem Interview sagte. „Schreiben bedeutet für mich, etwas so schön zu sagen, wie es nicht ist.“ Immer wieder zeichnete er ein Bild der deutschen Wirtschaftswunderwelt, in der die Moral nicht mehr viel zählt. Jeder betrügt jeden.

Als er 1977 die deutsche Teilung als „Produkt einer Katastrophe“ bezeichnete und mahnte, die „Wunde Deutschland“ offen zu halten, galt er vielen auf einmal als rechter Nationalist. Seine Rede 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er von einer „Instrumentalisierung des Holocaust“ sprach, bestärkte seine Kritiker darin.

Mit seiner Eitelkeit stand Walser sich bei der anschließenden Kontroverse oft selbst im Weg. Später bedauerte er das und stellte ganz unmissverständlich klar, dass „die Deutschen, die Schuldner der Juden bleiben. Bedingungslos. Es gibt da keine Verharmlosung oder Erklärung mildernder Art.“ Als Walser nach der Veröffentlichung seines Schlüsselromans „Tod eines Kritikers“ (2002) vorgeworfen wurde, das Buch weise antisemitische Züge auf, traf ihn das hart.

„Also das war dann der Tief- und Schmerzpunkt meiner sogenannten Laufbahn“, sagt er später. Der „härteste Vorwurf überhaupt“ sei das gewesen, den man jemandem machen könne. Nach einer Lesung aus dem Roman wurde Walser seinerzeit von einem Leser gefragt, ob er den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki überhaupt kenne? „Ob ich ihn kenne?“, fragte Walser verdutzt zurück. „Ich kenne ihn so gut, dass ich mit ihm 30 Jahre kein Wort gewechselt habe.“

"Ausdruckssüchtigkeit"

Mag man bei Altersromanen wie „Muttersohn“ (2011) oder „Ein sterbender Mann“ (2016) auch manchmal gestöhnt haben, in denen der alternde Literat seine Lust am Fabulieren auslebte und sich als Erotomane des Wortes stilisierte. Mit seiner atemberaubenden „Meßmer“-Trilogie und seinen letzten Romanen „Statt etwas oder Der letzte Rank“ (2017) und „Gar alles oder Briefe eine unbekannte Geliebte“ (2018) hat sich Martin Walser, der die deutsche Literaturszene länger als 60 Jahre lang prägte, noch einmal neu erfunden.

Er hat den Georg-Büchner-Preis (1981) verliehen bekommen, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1998) und das Große Verdienstkreuz mit Stern (1994). Genug konnte er nie bekommen. „Ich muss schreiben“, sagte er in einem seiner letzten Interviews. „Es ist eine Lebensart, eine Ausdruckssüchtigkeit.“ (mit kna)