Kometengleich ist die Karriere der 1990 in Paris geborenen Dirigentin Marie Jacquot, die zunächst als Tennistalent gefördert wurde und Posaune spielte. In der Saison 2026/27 wird sie als Chefdirigentin die Leitung des WDR Sinfonieorchesters übernehmen.
Marie Jacquot im Interview„Ein Highlight ist für mich die WDR Big Band“
Sie kommen gerade von der Probe mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Mit Till Eulenspiegel und Don Juan von Richard Strauss zeichnen Sie zwei ganz unterschiedliche Charaktere. Ein Schelm und ein Frauenheld. Oder sind die Unterschiede vielleicht doch nicht so groß?
(Lacht) so unterschiedlich sind sie wirklich nicht. Es sind beides Extremcharaktere. Zwei sehr theatralische Persönlichkeiten, die es lieben, bis zuletzt zu genießen. Und beide sterben am Ende. Solche Menschen gibt es auch in unserer Gesellschaft. Sie werden immer wieder geboren. Menschen, die andere benutzen, Scherze machen. Aber irgendwie gewinnen sie durch ihr Reden und eine übertrieben peinliche Art auch wieder an Sympathie.
Sie sind mit dem Ernst-von Schuch-Preis ausgezeichnet worden. Als Generalmusikdirektor der Dresdner Hofoper machte er Furore. Er war der „Leibdirigent“ von Richard Strauss. Ist Ihre Bindung zu Strauss, zur Staatskapelle dadurch noch einmal intensiver geworden?
Ja, unbedingt. Mit Ernst von Schuch verbinde ich vor allem, dass er Strauss so unterstützt und viele seiner Werke aufgeführt hat. Neben Bruckner ist Strauss einer meiner Favoriten. Er hat mit der Oper „Salome“ die bis dahin geltenden Kompositionsformen in Frage gestellt. Meiner Meinung nach gäbe es ohne ihn keine Zweite Wiener Schule.
Die für die atonale Musik mit Arnold Schönberg und seinen Schülern Alban Berg und Anton Webern steht.
Richard Strauss hat auch mit seinem „Rosenkavalier“ Gewaltiges geschaffen und viel erreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist man mit der seriellen Musik eventuell zu weit gegangen, hat nicht mehr an das Publikum angeknüpft.
Das war die Weiterentwicklung der Zwölftontechnik von Arnold Schönberg. Aber die Neue Musik hat doch gerade in Köln heute einen hohen Stellenwert.
Die Stadt ist da sehr progressiv, auch die Orchester leben ganz mit der Zeit.
Sie werden 2026 Chefdirigentin des WDR-Sinfonieorchesters. Verfolgen Sie das, was Ihre künftigen Kollegen machen, nun ganz besonders?
Ich werde in Köln zwar erst in zwei Jahren anfangen, aber wir sind schon im Gespräch und tauschen uns über Projekte aus, über die ich aber noch nichts sagen will. Ich habe die Arbeit des WDR-Sinfonieorchesters schon immer mit großem Interesse verfolgt, war immer am Puls. Das gilt aber auch für das Funkhausorchester und natürlich für die Big Band, die für mich als Posaunistin ein Highlight ist.
Bei Ihrem Debüt mit dem WSO vor anderthalb Jahren sprachen sie von einer gemeinsamen Sprache, die man schnell gefunden habe. Wie hat sich das bemerkbar gemacht?
So etwas passiert, oder es passiert nicht. Wir hatten gleich eine gemeinsame Wellenlänge. Meine musikalische Sprache, aber auch die Körpersprache hat das Orchester offenbar angesprochen.
Und wohl auch die Bilder, die Sie vermittelten: Gefährliche Stellen bei Claude Debussys „La mer“ verglichen Sie in der Probe mit dem Auftritt des Weißen Hais. Wie gehen Sie vor? Entwickeln Sie vorher zu jeder Partitur ein Storyboard, oder entstehen solche Assoziationen aus dem Moment heraus?
Das mit den Bildern passiert spontan. Beim Musizieren ist es wie beim Kochen. Man braucht gute Zutaten, aber man muss auch gut kochen können und sehr genau sein.
Sie sind Gastdirigentin unter anderen bei den Wiener Symphoniker, springen jetzt für Christian Thielemann ein, treten mit internationalen Orchestern auf. Wie schaffen Sie da einen Ausgleich? Spielen Sie noch Tennis, gehen Sie in die Natur?
Ich habe den Ausgleich noch nicht ganz gefunden. Natürlich pflege ich mein Privatleben. Aber ich würde gerne mehr Sport machen, mir dafür mehr Zeit nehmen.
Noch läuft das in meinem Leben gerade gut. Aber so voller Termine sollte es nicht auf Dauer weitergehen. In zwei Jahren will ich meinen Lebensrhythmus auf das WDR Sinfonieorchester und meine Aufgaben als Chefdirigentin des Royal Danish Theatre Kopenhagen fokussieren.
In einem Podcast des Bayrischen Rundfunks sprechen Sie mit Spitzensportlerinnen und wollen jungen Frauen Mut machen, ihre beruflichen Träume zu verwirklichen. Sie strebten zuerst auch eine Karriere als Tennisprofi an. Im Dirigierfach ist die Quote der weiblichen Studierenden noch sehr gering.
Tennis und Dirigieren liegen gar nicht so weit auseinander. Ich bin froh, wenn ich junge Frauen ermutigen kann. Wir haben immer noch ein das große gesellschaftliche Problem, dass wir alles in eine Box packen und immer gleich die Genderfrage aufwerfen.
Aber Männer und Frauen haben Vieles gemeinsam. Und mir ist es ganz egal, ob ein Emil, eine Emilie oder ein Transgender am Dirigentenpult steht. Es ist der Mensch, der mich interessiert.